Gute ideen?

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Manfred

Re: Gute ideen?

#11

Beitrag von Manfred » Mi 17. Jun 2020, 14:37

Ist halt auch wieder so ein Thema mit den Bienen.
Die Honigbienen sind eh nicht bedroht. Das werden seit Jahren global immer mehr und Imkern ist jetzt auch ein Europa wieder in.
Dein 08/15-Wildbienenarten geht es auch relativ gut.
Und den ganz wenigen, wirklich bedrohten Wildbienenarten bringen diese Blühflächen nichts, weil diese Arten bezüglich Nahrungsquelle und Brutbiotop idR stark spezialisiert sind und beides durch die Blühflächen nicht bereitgestellt wird.
Aus Artenschutzsicht ist das einfach nur Augenwischerei. Gut für alle, die damit Geld verdienen (mich nehme ich da nicht aus, habe auch 3 ha Blühflächen) und die, die meinen, dann ein gutes Gewissen haben zu können, aber bringen tut es praktisch nichts.

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Re: Gute ideen?

#12

Beitrag von Sven2 » Mi 17. Jun 2020, 21:21

Aber ist es nicht für Bodenbrüter usw , also nicht- Insekten, die auf Wiesen angewiesen sind, auch gut?
Ich hatte einen Artikel gelesen, in dem es nicht speziell um eine Bienenweide, sondern um Mischkultur verschiedener Blühpflanzen ging. Hab jetzt noch einen Artikel gelesen, wo eine blühende Staude in Monokultur angebaut wird, die gut für Bienen sein soll. Beziehe mich auf Ersteres.

Gemacht wird der Anbau von Energiepflanzen solange es sich lohnt - wann und ob sich das ändert, schwer zu sagen. In einem Artikel wurde der Blühpflanzenfläche als Vorteil bescheinigt, dass sie auf schweren Lagen wächst, an denen Maisanbau nicht möglich wäre. Ich kenn mich nicht gut genug aus um einzuschätzen ob das eine Nische für diese Anbauart wäre.

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Re: Gute ideen?

#13

Beitrag von emil17 » Mi 17. Jun 2020, 22:21

Was die Bedrohung von Bienen und der Nutzen der Blühflächen angeht, bin ich bekanntermassen nicht gleicher Meinung wie Manfred, aber das müssen wir hier nicht schon wieder ausdiskutieren.
Dass Biomasseanbau auf Ackerfläche für die Gasgewinnung energetisch und überhaupt Unsinn ist, da bin ich hingegen durchaus gleicher Meinung. Zuerst sollte man doch bitte das energetisch nutzen, was eh schon da ist. Solange hier auch aus relativ gut erschlossenen Wäldern es sich finanziell nicht lohnt, Durchforstungsholz herauszunehmen, soll man bitte nicht mit Biomasseanbau auf Fruchtfolgeflächen anfangen.

Gemäss statista.de liegt bei Euch der Marktanteil von Bio-Lebensmitteln bie 5.7%, bei uns sind es etwa 10.5%. Dabei ist zu vermuten, dass es Geld und nicht Mengen sind. Auf Menge bezogen wäre der Anteil noch kleiner.
Die gute Nachricht ist, dass es kontinuierlich zunimmt.

Die Marktführer der Schweiz Mogros und COOP fahren ihre eigenen Produktelinine, die zwar nicht streng bio sind, aber wo sich die Anbieter doch Mühe geben, dass Produzenten und Produktionsverfahren transparent und für den Kunden nachvollziehbar sind. Die machen eine grösseren Teil am Umsatz aus, aber scheinen nicht unter bio in der Statistik auf.
Das würden die nicht machen, wenn 90% der Kunden nur allein über den Geldbeutel wählen würden.
Gerade typische Landesprodukte wie Milch und Käse werden in den Alpen und im Jura (2/3 der Landesfläche) sowieso nach bio-Kriterien erzeugt, einfach weil es auch am wirtschaftlichsten ist.
Es ist also zwar alles bio, was das Label hat, aber es ist nicht alles nicht-bio, was es nicht hat.
Was man hier auch nicht vergessen sollte: Die Schweizer haben viel mehr Kaufkraft als die Deutschen, auch die Sozialhilfeempfänger. Ich denke, in D gibt es ein viel grösseres Prekariat, das gar nicht daran denken kann, regelmässig eine sorgfältige Produktion mit einem Mehrpreis zu belohnen. Ob sie es wollen täten, wenn sie es können dürften, ist dann eine andere Frage.
Wer will, findet einen Weg. Wer nicht will, findet eine Ausrede.

Manfred

Re: Gute ideen?

#14

Beitrag von Manfred » Do 18. Jun 2020, 21:13

@Sven:
Ich hatte gestern einen längeren Beitrag geschrieben. Leider hat das Forum kurz vor dem Absenden einen Aussetzer und der Beitrag war verschwunden…
Auf Blüh- und Blühbiomasse-Flächen konnte ich noch keine Bodenbrüterbruten feststellen.
Aber die mehrjährigen Blühflächen werden hier von den überwinternden Arten gerne als Winterdeckung angenommen. Auch Körnerfresser (Finken) machen sich im Herbst gerne daran zu schaffen, besonders im ersten Jahr (Sonnenblumen). Im Winter sind die Samen aber schon ziemlich abgeräumt.
Viele Bodenbrüter sind zudem eher Arten des Offenlandes und leiden unter der modischen Verheckung und Verwaldung und den extrem hohen Prädatorendichten, die entstanden sind, weil sich der Mensch als Breitband-Prädator in wenigen Jahrzehnten fast vollständig aus seiner über Jahrtausende ausgeübten Rolle zurückgezogen hat.
Ich schaue mir gerne einschlägige Videos aus Kambodscha etc. an, wo die Menschen noch ihre Jäger- und Sammlertätigkeit ausüben und von Insekten über Nager, Amphibien, Reptilien, Fische, Vögel etc. alles zu Nahrungszwecken fangen. Dort ist das Artenspektrum noch viel ausgeglichener als hier. Die zahlreich vorhandenen Arten und die Überpopulationen älterer Tiere werden abgeschöpft und dadurch entsteht Raum für empfindlichere Arten und Jungtiere und die Tierbiomasse-Produktivität (der Umsatz an Biomasse) wird insgesamt deutlich erhöht.
Bei uns sind die dominanten Arten praktisch alle an der Sättigungsgrenze, wodurch empfindliche Arten und Jungtiere massiv unter die Räder kommen und die etablierten Alttiere unnatürlich lange leben (geringer Biomasseumsatz).

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Re: Gute ideen?

#15

Beitrag von emil17 » Fr 19. Jun 2020, 08:38

Manfred hat geschrieben:
Do 18. Jun 2020, 21:13
Viele Bodenbrüter sind zudem eher Arten des Offenlandes und leiden unter der modischen Verheckung und Verwaldung ...
Gemäss Vogelschutzverbänden und eigener Beobachtung ist das ein Problem der zu grossen Biomasse auf Offenland, also der zu intensiven Bewirtschaftung. Eine Feldlerche kann ihre Brut in einer intensiv gedüngten Fettwiese nicht hochbringen und hätte dort auch Probleme, Nahrung für ihren Nachwuchs zu finden.
Dafür spricht auch, dass in meiner Wohngegend, die extrem strukturreich ist und wo weite Strecken von Offenland schon aus topographischen Gründen fehlen, viele seltene Arten noch vorkommen, die im intensiv bewirtschafteten nördlichen Alpenvorland fehlen oder doch sehr selten sind. Das hat nicht rein klimatische Gründe, denn viele dieser Arten waren früher noch dort und auch Hecken und Kleingehölze gab es wesentlich mehr.
Manfred hat geschrieben:
Do 18. Jun 2020, 21:13
und den extrem hohen Prädatorendichten, die entstanden sind, weil sich der Mensch als Breitband-Prädator in wenigen Jahrzehnten fast vollständig aus seiner über Jahrtausende ausgeübten Rolle zurückgezogen hat.
Was fressen diese Prädatoren eigentlich, wenn es keine Beute gibt, weil die ja selten ist, weil es zu viele Räuber hat?
Immerhin hat es der Mensch in Ausübung seiner über Jahrtausende ausgeübten Rolle geschafft, im 19. Jahrhundert fast alle Wildarten fast auszurotten. Manche Arten haben nur in Hegewäldern überlebt, die im Besitz des Adels waren und wo das gemeine Volk ausgesperrt war, das vielleicht auch gerne mal eine Sonntagsbraten wollte.
Die Bestände der früher allgegenwärtigen, heute seltenen Vögel sind erst später (im Zuge der Landwirtschaftsintensivierung nach dem Krieg) deutlich kleiner geworden, zeitgleich mit dem Verschwinden der Kornblume aus den Getreidefeldern.
Mein Grosseltern konnten als Kinder zum Muttertag selbstverständlich einen "Maien" (Blumenstrauss von Feldblumen) pflücken, die waren damals in fast jeder Wiese. Versuche das heute einmal.
Manfred hat geschrieben:
Do 18. Jun 2020, 21:13
Ich schaue mir gerne einschlägige Videos aus Kambodscha etc. an, wo die Menschen noch ihre Jäger- und Sammlertätigkeit ausüben und von Insekten über Nager, Amphibien, Reptilien, Fische, Vögel etc. alles zu Nahrungszwecken fangen. Dort ist das Artenspektrum noch viel ausgeglichener als hier.
Das kann man so sehen. Aber: erstens sind die Tropen potentiell um Grössenordnungen artenreicher (kein Winter, Vegetationsgeschichte ... ), zweitens ist die ganze Kultur völlig anders und drittens sieht man in Videos das, was der Autor zeigen will. Man kann überall genausogut Videos drehen, die das Gegenteil zeigen. Es hilft nur, die Gegend selber zu kennen.
Der Vergleich von Jägern und Sammlern aus den altweltlichen Tropen mit Landwirtschaft aus den kühl-gemässigten Breite hinkt schon deswegen gewaltig, weil man in den Tropen keine produktionslose Zeit hat und nicht darauf angewiesen ist, Vorräte für den Winter anzulegen. (Das stört mich auch an den Paradies-Videos alternativer Landwirtschaft von hier: man sieht einen fröhlichen Gärtner, der hier was nascht und dort was pflückt, und inmitten üppiger Gewächse kaum zu sehen ist. Die stundenlangen Einweckorgien dieser Lebensweise werden ungern gezeigt. Wie sähe das im November oder Februar aus?)
Manfred hat geschrieben:
Do 18. Jun 2020, 21:13
Die zahlreich vorhandenen Arten und die Überpopulationen älterer Tiere werden abgeschöpft und dadurch entsteht Raum für empfindlichere Arten und Jungtiere und die Tierbiomasse-Produktivität (der Umsatz an Biomasse) wird insgesamt deutlich erhöht.
Bei uns sind die dominanten Arten praktisch alle an der Sättigungsgrenze, wodurch empfindliche Arten und Jungtiere massiv unter die Räder kommen und die etablierten Alttiere unnatürlich lange leben (geringer Biomasseumsatz).
Der Mensch als Jäger, Sammler oder dann als Heger und Pfleger ist eine tief in unserer Kultur verwurzelte Betrachtungsweise. Es ist in Ordnung, wenn ein Förster stolz auf "seine" Wälder blickt, die in Generationen seiner Obhut anvertraut waren, aber: Natur ohne Mensch geht besser als Mensch ohne Natur. Wälder und Wild gab es lange bevor der Mensch alles lenkte und bewirtschaftete.
Zudem: In unserem Klima mit einem Winter können gar nicht so viele Individuen langlebinger Arten überwintern, dass die Populationsdichte in der Vegetationszeit limitierend wird. Es sei denn, man hilft absichtlich durch Zufütterung oder unabsichtlich durch Veränderung der Landschaft im Sinne von Winterfutterquellen mit, dass die Bestände hoch bleiben.
Hohe Jugendsterblichkeit ist übrigens bei so ziemlich allen langlebigen Arten die Regel, da direkte Folge eines Geburtenüberschusses. Nimmt man die Alten raus (egal ob Hirsch oder Baum), so hat der Nachwuchs Platz und das erhöht die Produktivität für den, der rausnimmt. Aber natürlich ist das nicht und die natürliche Verhaltensweise (Rangkämpfe usw.) wirken dem direkt entgegen.
Wildverbiss Zauneffekt
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Manfred

Re: Gute ideen?

#16

Beitrag von Manfred » Fr 19. Jun 2020, 12:21

Dass du deine Vorstellung von Natur der Natur vorziehst, ist ja keine neue Erkenntnis. ;)

"Natürlich" ist ein noch viel schwierigerer Begriff. In der westlichen Trennungsideologie wird darunter ja gerne ohne menschlichen Einfluss verstanden.
Nur gäbe es in dem meisten Teilen Mitteleuropas dann keinen Wald.
Wobei "Wald" auch schon wieder ein schwieriger Begriff ist, weil die Waldfraktion und die Graslandfraktion davon unterschiedliche Definitionen haben. Für erstere ist alles Wald, wo sich in Sichtweite ein Baum findet, für letztere ist die (potentielle) Bodenbedeckung ausschlaggebend.

Wie dein Bild zeigt, kommen die meisten Laubholzarten nicht mal gegen die paar Rehe an. Von den ausgerotteten ziehenden Megaherbivoren und denn paar noch verbliebenen mittelgroßen Herbivoren ganz zu schweigen. Hätte der Mensch diese nicht abgeräumt, hätte sich die Buche in Mitteleuropa nie flächig ausbreiten können.
Versteht man "natürlich" als ohne menschlichen Einfluss, gibt es hier keinen "natürlichen" Buchenwald.
Und in dem, was von Forstleuten als Buchenurwaldreste angesehen wird, z.B. in den Gebirgshochlagen des Iran entlang der Schwarzmehrküste, sieht der Waldboden aus wie rechts im Bild. Naturverjüngung findet dort praktisch ausschließlich in Form von Auflichtungsinseln statt, sprich wenn alte Buchen fallen und ein Loch ins Kronendach reißen. Dort siedeln zuerst dornige Pionierarten, in deren Schutz dann wieder Buchen hochkommen. All das trotz extrem niedriger Schalenwilddichten, die aber nicht durch Bejagung niedrig gehalten werden, sondern durch die Buchen selbst, die fast keinen Unterwuchs zulassen. Und von ein paar Kräutlein im Frühjahr kann kein Reh das ganze Jahr überleben.
Voraussetzung für dieses Spiel sind neben der Abwesenheit von Megaherbivoren die hohen Niederschlagesmengen dieser Gebirgsregion (wobei die Niederschläge dort alleine nach meiner Einschätzung zu gering sind, um alleine eine Graslandbildung zu verhindern, sprich durch Auswaschung von Mineralien den Herden die Lebensgrundlage zu entziehen).

Ich für meinen Teil sehe den Mensch als (außer durch Ausrottung oder Absiedlung is All) untrennbaren Teil der Natur an.
Im Verlauf seiner Evolution hat er viele andere Arten verdrängt und deren Nischen eingenommen oder durch Umgestaltung aufgehoben und dafür neue geschaffen. Und wenn man ihn aus diesen Rollen wieder herausreißt, kommt es halt zu erneuten Verschiebungen.

Das Abwirtschaften er landwirtschaftlichen Nutzflächen durch den Menschen hat natürlich zur massenhaften Ausbreitung von Pionierarten geführt, die sonst ein Nischendasein an Extremstandorten fristen und sich von dort nach Bedarf ausbreiten bzw. lange Zeiträume durch Samen überbrücken.
Eine Rückkehr der Fruchtbarkeit drängt diese Arten dann wieder zurück. Ein Heilungsprozess. Auch wenn die Blüten viele Pionierarten hübscher anzusehen sind als Grind auf der Haut, ist die Funktion ähnlich. Beim Grind freut man sich, wenn er wieder abfällt. Bei den Pionierpflanzen wird gejammert.
Dass die Wiesen im Alpenvorland kaum mehr blühen, liegt nicht an deren hoher Biomasseproduktion, sondern an der häufigen Schnittnutzung. Auch sehr Biomasseproduktives Grünland bringt unter entsprechendem naturnahem Management viele Blüten hervor. Aber das geht nur mit Weidetieren, die selektiv den für sich hochwertigsten Teil der Biomasse fressen können. Mit maschineller Bearbeitung ist das nicht möglich, weil sonst die als Futter nicht tauglichen Stängel und unteren Blattteile mit geerntet werden müssen.

Um das zu veranschaulichen: In seinem gestrigen Video hat Greg Judy eine Fläche im ich glaube 3. Jahr der Wiederurbarmachung (also noch nicht übermäßig fruchtbar, zumal an seinem Standort, der weder vom Boden noch vom Klima besonders begünstigt ist) gezeigt. Vorher war der Hang komplett von Brombeeren überwuchert. Die Fläche wurde nicht umgebrochen und nichts gesät, nur die Brombeeren gemulcht und dann haben die Rinder ihre Arbeit gemacht und die im Boden vorhandene Saatgutbank aktiviert
In der Eingangsszene sieht man im Hintergrund, hinter der Elektrolitze, den noch nicht abgeweideten Teil und im Vordergrund den bereits abgeweideten Teil.
1/3 der Biomasse wird gefressen, 1/3 auf den Bodengetrampelt (als Bodenbedeckung und Futter für die Mikroben) und 1/3 bleibt stehen. Der typische Effekt einer ziehenden Herde.
Das kann ein Mähwerk nicht leisten. Das müsste die ganze für die Tiere schlecht verdauliche Biomasse mit geerntet werden, die Rückfütterung für die Bodenmikroben wurde fehlen, der Boden wäre zeitweise kaum bedeckt und die Pflanzen müssten deutlich mehr Reserven mobilisieren um wieder auszutreiben.
Ab ca. 4:30 min läuft er dann in den noch nicht beweideten Teil. Blüten gibt es dort reichlich.

Edit: Link vergessen:
https://www.youtube.com/watch?v=LGcPXbc36xw

Manfred

Re: Gute ideen?

#17

Beitrag von Manfred » Sa 20. Jun 2020, 00:07

emil17 hat geschrieben:
Fr 19. Jun 2020, 08:38
Was fressen diese Prädatoren eigentlich, wenn es keine Beute gibt, weil die ja selten ist, weil es zu viele Räuber hat?
Immerhin hat es der Mensch in Ausübung seiner über Jahrtausende ausgeübten Rolle geschafft, im 19. Jahrhundert fast alle Wildarten fast auszurotten. Manche Arten haben nur in Hegewäldern überlebt, die im Besitz des Adels waren und wo das gemeine Volk ausgesperrt war, das vielleicht auch gerne mal eine Sonntagsbraten wollte.
Die Bestände der früher allgegenwärtigen, heute seltenen Vögel sind erst später (im Zuge der Landwirtschaftsintensivierung nach dem Krieg) deutlich kleiner geworden, zeitgleich mit dem Verschwinden der Kornblume aus den Getreidefeldern.
Mein Grosseltern konnten als Kinder zum Muttertag selbstverständlich einen "Maien" (Blumenstrauss von Feldblumen) pflücken, die waren damals in fast jeder Wiese. Versuche das heute einmal.
Wieder ein typisches Beispiel, wie du verdrehst, was ich schreibe.
Beute ist nicht selten. Von den Massenarten sind Massen vorhanden. Was unter die Räder kommt, sind die empfindlichen Arten.
Und welche Wildarten genau sollen denn im 19. Jahrhundert fast ausgerottet gewesen sein?
Wobei damals natürlich viel mehr Arten zum Wild gehörten als heute. Aber selbst stark zurückgedrängte wie Kolkraben standen nie vor der Ausrottung.
Einzig der Wisent fällt mir ein, der fast den Gang aller anderen schon vom Menschen ausgerotteten Großherbivoren gegangen wäre. Dafür muss er jetzt in den Nationalparks gefüttert und reguliert (bitte nicht das böse Wort Jagd verwenden) werden, damit er die Fantasie vom Buchenwald nicht komplett auffrisst.

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Re: Gute ideen?

#18

Beitrag von emil17 » Sa 20. Jun 2020, 00:34

Alles sehr interessant, aber:
Manfred hat geschrieben:
Fr 19. Jun 2020, 12:21
Natürlich" ist ein noch viel schwierigerer Begriff. In der westlichen Trennungsideologie wird darunter ja gerne ohne menschlichen Einfluss verstanden.
Ich stehe dazu, dass ich dem mitteleuropäischen Kulturkreis angehöre, und dass ich Sachverhalte gerne beim Namen nenne, um sie unterscheiden und benennen zu können. Lass uns "natürlich" im folgenden als einen wenig bis gar nicht bewusst gestalteten und bewirtschafteten Lebensraum verstehen, im Gegensatz zu Flächen, wo häufige und heftige Eingriffe eine ganz andere Artengarnitur verursachen oder erzwingen.

Ich hätte da zuerst einmal immer noch die offene Frage:
"Was fressen diese Prädatoren eigentlich, wenn es keine Beute gibt, weil die ja selten ist, weil es zu viele Prädatoren hat?" (siehe meinen vorigen Beitrag).

Die Megaherbivoren sind Theorie:
siehe Zoller, Haas 1995: War Mitteleuropa ursprünglich eine halboffene Weidelandschaft oder von geschlossenen Wäldern bedeckt? (Klick auf den link ermöglicht download des pdf)
Die Autoren widerlegen unter anderem deine Theorie: "Versteht man "natürlich" als ohne menschlichen Einfluss, gibt es hier keinen "natürlichen" Buchenwald." Unter anderem damit, dass die typischen Arten des offenen Dauergrünlandes vor dem Beginn der Bewirtschaftung und Rodung in Pollenprofilen seit dem Abschmelzen des Eises (eine Periode von mehreren Jahrtausenden) nicht nachweisbar sind. Pollenprofile aus dieser fernen Zeit stimmen gut mit solchen heutiger Zeit aus geschlossenen Waldgebieten, aber schlecht mit solchen aus offenen Graslandschaften überein.
Bei der Walddefinition dürften wir uns einig sein, kein Problem.
Manfred hat geschrieben:
Fr 19. Jun 2020, 12:21
Ich für meinen Teil sehe den Mensch als (außer durch Ausrottung oder Absiedlung is All) untrennbaren Teil der Natur an.
Im Verlauf seiner Evolution hat er viele andere Arten verdrängt und deren Nischen eingenommen oder durch Umgestaltung aufgehoben und dafür neue geschaffen. Und wenn man ihn aus diesen Rollen wieder herausreißt, kommt es halt zu erneuten Verschiebungen.
Über diese Anschauung kann man sich lange unterhalten - konsequent zu Ende gedacht bedeutet sie, dass alles erlaubt ist und es folglich keine Umweltzerstörung geben kann, wenn sie durch Wesen verschuldet ist, die von der Evolution sebst hervorgebracht worden sind. Dann wäre jede Zerstörung nur Weiterentwicklung. Das würde auch jede soziale Ungerechtigkeit rechtfertigen. Wer unterliegt, hat eben Pech gehabt und das ist die natürliche Entwicklung.
Damit wird es auch völlig belanglos, wenn unangepasste Landwirtschaft aus reiner Gewinnsucht ganze Landstriche und ganze menschliche Gesellschaften ruiniert. Es wäre gleich zu bewerten, wie wenn ein Wald durch einen Erdrutsch zerstört wird, denn es ist immer Natur, die handelt.
Diese Ideologie liefert nicht nur denjenigen eine bequeme Ausrede, die mit Umweltzerstörung Geld verdienen oder denen es schlicht egal ist. Sie verkennt vor allem, dass der Mensch vorausschauend handeln und bewusst seine Umwelt gestalten kann und folglich auch Verantwortung zu tragen hat für das, was er tut. Gegenüber den anderen Menschen und gegenüber allen Lebewesen, die er dadurch beeinflusst.
Deshalb teile ich diese Sicht der Welt nicht.

Zudem ist es logisch inkonsequent, wenn dann im letzten Satz deines Zitates dann doch plötzlich ein "man" da ist, das "ihn" aus diesen Rollen wieder herausreisst.
Manfred hat geschrieben:
Fr 19. Jun 2020, 12:21
Dass die Wiesen im Alpenvorland kaum mehr blühen, liegt nicht an deren hoher Biomasseproduktion, sondern an der häufigen Schnittnutzung. Auch sehr Biomasseproduktives Grünland bringt unter entsprechendem naturnahem Management viele Blüten hervor. Aber das geht nur mit Weidetieren, die selektiv den für sich hochwertigsten Teil der Biomasse fressen können. Mit maschineller Bearbeitung ist das nicht möglich, weil sonst die als Futter nicht tauglichen Stängel und unteren Blattteile mit geerntet werden müssen.
Soiel ich weiss, wurde ja Mähwiesenwirtschaft statt Weidegang erfunden, um das Futter besser ausnutzen zu können und also mehr Tiere pro Fläche ernähren zu können. Sonst würde man sich die Mehrarbeit nicht antun. Du sagst es ja selbst: "1/3 der Biomasse wird gefressen, 1/3 auf den Bodengetrampelt (als Bodenbedeckung und Futter für die Mikroben) und 1/3 bleibt stehen. Der typische Effekt einer ziehenden Herde."

Die Arten sehr nährstoffreicher Weiden sind nicht diejenigen, welche auf blumenreichen Mähwiesen sind. Leider kann man nicht einfach weniger oft mähen und es blüht dann wieder mehr. Die häufige Schnittnutzung der produktiven Fettwiesen ist nötig, weil das Zeug sonst abliegt und verdirbt. Wieso sonst sollte man oft mähen, wenn nicht aus dem Grund, dass eben sehr viel nachwächst?

Im Wirtschaftswald (mein Bild stammt nicht von einem Urwald) ruiniert das Schalenwild den Jungwuchs, weil die Bestände viel zu hoch sind, wegen Zufütterung und angrenzendem Grünland. In reinem Waldland könnten sich so hohe Besatzdichten nicht halten. Du verwechselst da Ursache und Wirkung.

Die Sache mit der Brombeerbekämpfung liest sich gut. Brombeerflächen werden sich aber ohne Eingriffe irgendwann mal in Wald verwandeln. Wenn man die Brombeeren nicht vor dem Weidegang niedermacht (wer hätte sowas in der guten alten Megaherbivorenzeit machen sollen, und warum?), lassen die Tiere sie in Ruhe und fressen drum herum.
Wer will, findet einen Weg. Wer nicht will, findet eine Ausrede.

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Re: Gute ideen?

#19

Beitrag von Rohana » Sa 20. Jun 2020, 09:21

emil17 hat geschrieben:
Sa 20. Jun 2020, 00:34
Ich hätte da zuerst einmal immer noch die offene Frage:
"Was fressen diese Prädatoren eigentlich, wenn es keine Beute gibt, weil die ja selten ist, weil es zu viele Prädatoren hat?" (siehe meinen vorigen Beitrag).
Wenn sie nicht grade spezialisiert sind, halt was anderes :im: Rebhühner & Co sind ja kein Alleinfutter.

Aber könnt ihr beiden nicht einen anderen Thread für die (wiederholte) Diskussion der Megaherbivorentheorie aufmachen?
Ein jeder spinnt auf seine Weise, der eine laut, der andere leise... (Ringelnatz)

Manfred

Re: Gute ideen?

#20

Beitrag von Manfred » Sa 20. Jun 2020, 12:10

@Emil: Nach der letzten Kaltzeit gab es nie eine Phase ohne massiven menschlichen Einfluss in Europa.
Die Großherbivoren-Theorien besagen eben nicht, dass es nach der Eiszeit riesige Herden und entsprechend große Offenland-Flächen gegeben habe, sondern dass der Mensch nach der Kaltzeit von Anfang durch Verschiebung des ökologischen Gleichgewichts und Ausrottung von Arten die Entstehung dieser großen Graslandflächen verhindert hat.
Weiteren gibt es einen wissenschaftlichen Diskurs darüber, welcher Anteil von Offenland in der menschengemachten Waldzeit bestand.
Auf Urban Emanuelsson habe ich dich ja schon verwiesen. In "The Rural Landscapes of Europe" behandelt er diesen Diskurs in einem eigenen Kapitel. Letztlich läuft diese Diskussion darauf hinaus, dass nach den bisherigen Modellen auch in der Waldzeit ein nennenswerter Anteil an Offenland bestanden haben muss, weil anders Überdauern diverser Offenlandarten nicht erklärt werden kann. Alternative Erklärungsvorschläge über temporäre Waldlichtungen und Brände konnten in Praxisversuchen und -Beobachtungen nicht bestätigt werden.
Das später dann der Mensch selbst die entstandene Wald-Monotonie wieder aufgebrochen hat, ist ja hinlänglich dokumentiert. Darüber brauchen wir denke ich nicht streiten.
Und auch den in der "Wissenschaft" erbittert geführten Grundsatzstreit ob Offenland oder Wald die "natürliche" Vegetation sei und wie Mitteleuropa demzufolge zu bewirtschaften sei, können wir uns sparen. Der ist durch die Praktiker der regenerativen Landwirtschaft längst ad absurdum geführt. Beides ist in unseren Klimabedingungen regenerativ möglich und demzufolge eine Mischform, wie wir sie eh schon haben, die in der Gesamtschau (inkl. Einbeziehung der menschlichen Bedürfnisse) beste Lösung. Auf die Optimierung der Praktiken kommt es hier an, nicht darauf, ob Wald oder Offenland.
Wissenschaft deshalb in Anführungszeichen, weil echte Wissenschaft eine saubere Definition jedes einzelnen verwendeten Begriffs verlangt, was in diesem gesamten "Wissenschaftszweig" beharrlich ignoriert wird.
Um da je wieder auf einen grünen Zweig zu kommen, müsste man diese ganze Branche von den definitorischen Grundlagen her neu aufbauen und danach jede bisherige Veröffentlichung neu bewerten. Aktuell dreht man sich nur noch zum Selbstzweck im Kreis.

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