Kann es sein, dass unser Wohlstandsmodell am Ende ist?

Was halt nirgendwo passt
Ellie
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Re: Kann es sein, dass unser Wohlstandsmodell am Ende ist?

#351

Beitrag von Ellie » Do 17. Nov 2022, 07:56

Naja, es geht dabei ja weniger um die Entscheidungen eines einzelnen, als um die Grundeinstellung dahinter. Es ist so einschränkend seine Entscheidungskraft einfach aufzugeben. Hier in Deutschland ist man ganz schnell darin sich in eine selbst geschaffene Hilflosigkeit zu denken. Da kann es sehr befreiend sein zu erkennen, dass man gar nicht so hilflos ist. Macht ja mental auch einen Unterschied ob ich glaube, dass andere/die da oben/Schicksal/Pech mich in einer Situation gefangen halten oder ob ich mich dafür entschieden habe, erstmal, aus welchen Gründen auch immer, in dieser Situation zu bleiben. :ohm:

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Re: Kann es sein, dass unser Wohlstandsmodell am Ende ist?

#352

Beitrag von Rohana » Do 17. Nov 2022, 08:22

Ich möchte mal die Leute sehen, die mit Familienverantwortung und ohne genug Rücklagen im Hintergrund munter gewisse "Entscheidungen" treffen. Klar ist es schön sich sagen zu können theoretisch könnte man XY ... jaaa... nur was bringt's? Und es ist schön als Beispiel eine akademische Laufbahn incl. Beamtenstand anzuführen die du aufgegeben hast - von oben nach "unten" tut es sich leicht, sorry wenn das böse klingt, selbiges gilt für deine Freundin in schicker Stadtwohnung mit Monstergehalt. Nein, um diese Leute geht es NICHT denn die haben ganz offensichlich wesentlich mehr Entscheidungsspielräume cf. "Wohlstand". Gehst du zu jedem HartzIV-ler und sagst "tja, du musst dich bloss anders entscheiden!"?
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Re: Kann es sein, dass unser Wohlstandsmodell am Ende ist?

#353

Beitrag von emil17 » Do 17. Nov 2022, 09:31

Wenn man das Buch von Johanna Friedrichs "Working class" liest sind das in D etwa die Hälfte der Bevölkerung, die in der von Rohana beschriebene Situation sind. Durch dauernde nicht feste Arbeitsverträge, steigende Mieten bei stagnierenden Reallöhnen usw. sind die froh, wenn sie Ende Jahr gleich weit sind wie anfangs.
Da gibts den Reiniger von U-Bahnhöfen, der seit 12 Jahren bei der gleichen Firma befristet angestellt ist und Fahrgeld bezahlen muss, wenn er abends vom letzten Bahnhof wo er die Kotze der anderen weggemacht hat nach Hause will. Dann sind die Weltmeister darin, was man vom Mindestlohn alles abziehen kann, etwa Zeitpauschale pro Bahnhof - wenns besonders dreckig ist und er mehr Zeit braucht, wird die Überzeit nicht ausbezahlt, und so weiter.
Dann gibts noch die welche in den Posts gemeint sind, zu Niedrigstzinszeiten Neubau bis an die Grenzen auf Pump gebaut, und jetzt wirds knapp wenn Gas und Strom und Essen mehr kosten und das Kind ins Ballett und Frühenglisch mit dem repräsentativen BMW gefahren werden muss.
Und dann gibts noch die, welche in der Tat ihren Hintern nicht hochkriegen und es normal finden, dass irgendwer anders für ihr Wohlergehen zuständig zu sein hat.
Das sind alles Fälle, die unterscheidlich zu bewerten sind.
Wer will, findet einen Weg. Wer nicht will, findet eine Ausrede.

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Re: Kann es sein, dass unser Wohlstandsmodell am Ende ist?

#354

Beitrag von penelope » Do 17. Nov 2022, 09:47

Vom kleinen Harz4 Empfänger oder Mindestlohn-Arbeiter erwartet ja niemand größere Weltrettungsaktionen. Es ist eben das Eigentum, was verpflichtet und entsprechende Verantwortung mit sich bringt.

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Re: Kann es sein, dass unser Wohlstandsmodell am Ende ist?

#355

Beitrag von emil17 » Do 17. Nov 2022, 11:38

Zum Beispiel die, welche zu Corona-Zeiten den Staat haben die Löhne bezahlen lassen und sich selber aber fette Dividenden gezogen haben ... unter anderem, weil unser liebes Parlament meinte, Coronahilfe nur wenn keine Gewinne ausgeschüttet und keine Rückstellungen gemacht werden sei ein zu grosser Eingriff in die unternehmerische Verantwortung.
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Re: Kann es sein, dass unser Wohlstandsmodell am Ende ist?

#356

Beitrag von Dyrsian » Do 17. Nov 2022, 12:08

emil17 hat geschrieben:
Do 17. Nov 2022, 09:31
Wenn man das Buch von Johanna Friedrichs "Working class" liest sind das in D etwa die Hälfte der Bevölkerung, die in der von Rohana beschriebene Situation sind. Durch dauernde nicht feste Arbeitsverträge, steigende Mieten bei stagnierenden Reallöhnen usw. sind die froh, wenn sie Ende Jahr gleich weit sind wie anfangs.
Das Buch kann ich in der Tat empfehlen, auch wenn es schon nicht mehr aktuell ist. Durch Corona und die rasant steigende Inflation hat sich die Lage ggü. der im Buch beschriebenen Situation noch deutlich verschärft.

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Re: Kann es sein, dass unser Wohlstandsmodell am Ende ist?

#357

Beitrag von Dyrsian » Do 17. Nov 2022, 12:18

Ellie hat geschrieben:
Mi 16. Nov 2022, 23:24
Naja, auch bei dem Broadford würde ich von getroffenen Entscheidungen sprechen. Im bekannten Freundeskreis oder im akademisch Beruf zu bleiben. Weit zu Pendeln. Beim Partner zu bleiben, der andere Vorstellungen hat. Alles Entscheidungen.
Ich habe auch Kinder, die am alten Wohnort Freunde hatten. Ich habe einen akademischen Beruf studiert, den ich jetzt nicht mehr ausübe. Ich fahre mit dem Fahrrad zu meiner Halbzeitstelle bei der ich knapp über Mindestlohn verdiene und damit trotzdem mehr über hab als früher als Beamte.
Entscheidungen müssen ja nicht immer bequem sein. Und nichts zu tun ist eben auch eine Entscheidung. Das ist gar nicht böse gemeint, ich finde man nimmt sich nur selbst die Optionen, wenn man sagt, es gäbe keine Alternative, es sei unmöglich, man sei der Willkür der Situation ausgesetzt. Man kann auch einfach entscheiden es nicht (oder zu diesem Zeitpunkt nicht) zu tun, dann hat man selbst die Zügel in der Hand.
Also Familie heißt Verantwortung übernehmen. Da kann ich nicht einfach eine halbe Stelle zu Mindestlohn annehmen und meinen Kindern sagen "groß werdet ihr von alleine". Ich sollte mir auch eine Trennung gut überlegen, denn grade für kleine Kinder ist das alles andere als optimal.
Wer sich also einredet er hätte solche Optionen, ist entweder verantwortungslos oder hängt Hirngespinsten nach. Es ist in unserer Zeit wohl so, dass man sich leichtfertig trennt, Egoismus ist "modern". Die vielen Alleinerziehenden belegen das. Persönlich finde ich, mann kann sich auch mal am Riemen reißen und muss nicht immer gleich alles hinschmeißen.
Wer ohne Vermögen, staatliche Unterstützung und Wohneigentum mit einer halben Mindestlohnstelle Kinder durchbringt hat meinen allerhöchsten Respekt. Ich wüsste nicht wie ich das machen sollte.

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Re: Kann es sein, dass unser Wohlstandsmodell am Ende ist?

#358

Beitrag von emil17 » Do 17. Nov 2022, 17:03

Dyrsian hat geschrieben:
Do 17. Nov 2022, 12:18
Also Familie heißt Verantwortung übernehmen. Da kann ich nicht einfach eine halbe Stelle zu Mindestlohn annehmen und meinen Kindern sagen "groß werdet ihr von alleine".
Ja, aber jeder Terz muss auch nicht sein. Meine drei grösseren haben eine frühballettkurslose Jugend ohne bereits erkennbare Schäden überlebt, und beim Nesthäkchen sieht es auch ganz gut aus.
Doch, gross werden sie von alleine. Das gibt dann eine Phase ermüdender Diskussionen, wenn sie sich für grösser halten als du es tust. Später kommt dann die Zeit, wo sie den selbst gezogenen Salat nicht so lecker finden wie du, und das wird dir manchmal ganz undiplomatisch direkt gesagt.
Dyrsian hat geschrieben:
Do 17. Nov 2022, 12:18
Ich sollte mir auch eine Trennung gut überlegen, denn grade für kleine Kinder ist das alles andere als optimal.
Ja, aber es gibt viele Fälle wo eine Trennung besser ist. Allerdings sollten die Eltern das in Würde machen. Früher haben viele Ehen gehalten, weil es klar war, dass die Frau zuhause und der Mann in der Kneipe war. Ob das gemeint ist?
Wer will, findet einen Weg. Wer nicht will, findet eine Ausrede.

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Re: Kann es sein, dass unser Wohlstandsmodell am Ende ist?

#359

Beitrag von ohne_Furcht_und_Adel » Do 17. Nov 2022, 21:54

Ich finde auch, dass eine heile Familienwelt und eine Reinszenierung der eigenen glücklichsten Kindheitserinnerungen für den Nachwuchs nicht immer die oberste Priorität haben. Die Kinder sind keine Klone der eigenen Persönlichkeit, sollen es auch nicht sein, und spüren natürlich, wenn etwas nicht echt ist (z.B. die Liebe der Eltern zueinander) und wenn etwas nicht passt. Also Ehrlichkeit ist wohl genauso wichtig wie ein kongruentes Verhalten. Natürlich soll man Werte vermitteln, aber was hilft einem z.B. die Tugend der Treue, wenn die Beziehung endgültig hinüber ist?
Natürlich haben Kinder viele Ansprüche, meist äußerst profaner Art, und konsumieren gerne. Deswegen kann man auch mal nachgeben und ihnen eine Süßigkeit oder einen Burgerbuden- Besuch gönnen. Trotzdem gehen sie nicht daran zugrunde oder schlagen ins andere Extrem um, wenn es zuhause meist Gemüse aus dem Garten gibt. Oder wenn halt unter 10 Stunden pro Woche ferngesehen oder im Internet gesurft werden darf. Wenn der Teenager am liebsten 2000, 3000 euro im Jahr für Klamotten ausgeben würde, ist das nicht mein Pech. Spätestens mit 16 kann mit Nebenjobs das Taschengeld aufgebessert werden, wenn die Wartezeit bis Geburtstag oder Weihnachten zu lang erscheint. Außerdem würde ich etwas Geld für z.B. eine gute Englischarbeit herausrücken... wenn sie denn mal gut wäre.
Ich meine, wenn man auch mal Ausnahmen macht und ein Ohr für die Ansichten und Bedürfnisse der Kinder hat, werden sie im Großen und Ganzen tatsächlich von alleine groß.

Nicht in der zubetonierten Stadt zu wohnen, ist ja auch ganz erholsam, für Psyche und Gesundheit, z.B. wenn der Sommer wieder mal die 35Grad- Marke toppt.

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Rohana
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Re: Kann es sein, dass unser Wohlstandsmodell am Ende ist?

#360

Beitrag von Rohana » Do 17. Nov 2022, 22:14

Jetzt macht euch nicht immer über's Ballett lustig. Kann ja nicht jeder Fussball spielen! Eine Kindergartenfreundin meiner Kleinen darf zum Ballett und die ist so begeistert und so glücklich damit... ja mei, dann ist es halt Ballett. Die machen das ja nicht weil die Mama das für nötig hält. :grinblum:
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