Meldungen aus Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion

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emil17
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Re: Meldungen aus Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion

#4121

Beitrag von emil17 » Di 9. Aug 2022, 20:43

Ich vermute - vermute - dass man hier vorbaut, um die ungeliebten Ausgleichsflächen los zu werden und sie wieder unter den Pflug nehmen zu können.
Sichere Lebensmittelverorgung bedeutet offenbar einfach mehr vom Gleichen, nicht eine Hinterfragung der Produktepalette oder der Qualitätsansprüche des Grosshandels.
An sich würde sichere Lebensmittelversorgung ja auch bedeuten, keine Abhängigkeit vom Ausland in den wichtigsten Produktionsmitteln der Landwirtschaft zu haben: Kunstdünger, Pflanzenschutzmittel, Treibstoffe, Landmaschinen.
Ob soviel Futterweizen gebaut wird weil die Qualitätsansprüche zu hoch sind oder weil die Tiermästerei (Veredelungsbetriebe) soviel abnehmen, weiss ich nicht; da aber Futterweizen bei gleichem Aufwand niedrigere Preise erzeilt vermute ich das erstere.
Allerdings weiss ich hier nicht, ob sich erst bei der Ernte entscheidet, ob die Qualität für Brotweizen ausreicht.

Ich vermute auch, dass der Handel, wenn er die Wahl hat, eben wählerisch ist und man im Falle wirklicher Not mit Weizenqualitäten backen könnte, die heutigen Ansprüchen nicht genügen.
Natürlich sind die Qualitätsansprüche auch erklärbar. So ist es beispielsweise eine Katastrophe, wenn in einer Grossbäckerei die Brote im Ofen die Form nicht halten. Der Handel tut das gleiche, was auch wir tun, wenn wir am Gemüsestand die Salatköpfe auswählen.

Andersrum ist es beschämend, wenn man die Anbauflächen ausweiten will, um die Ernährung zu sichern und ein Drittel der Backwaren gar nicht verkauft werden, weil es unzumutbar sein soll, am Nachmittag Brot kaufen zu müssen, das am Morgen schon gebacken wurde. Auch hier nimmt der Konsument natürlich das frischere, wenn er die Wahl hat, und der Handel kann sagen, man müsse kundenorientiert anbieten. Meine Mutter hat als Kind noch erlebt, dass es wegen der Lebensmittelrationierung den Bäckern nicht erlaubt war, frisches Brot zu verkaufen, das musste einen Tag liegen bevor es auf den Ladentisch kam. Bei den hierzulande üblichen luftigen Hefebroten merkt man den Unterschied sehr gut, bei Roggenbrot spielt es kaum eine Rolle.
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Re: Meldungen aus Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion

#4122

Beitrag von kraut_ruebe » Di 9. Aug 2022, 22:18

emil17 hat geschrieben:
Di 9. Aug 2022, 20:43
Allerdings weiss ich hier nicht, ob sich erst bei der Ernte entscheidet, ob die Qualität für Brotweizen ausreicht.
Ich hätte das so verstanden, dass bei passendem Standort auf Brotgetreide hingearbeitet wird, und nur bei nicht-erreichen der Qualitätskriterien dann 'runtergestuft' wird.
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Re: Meldungen aus Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion

#4123

Beitrag von Rohana » Di 9. Aug 2022, 22:54

sybille hat geschrieben:
Di 9. Aug 2022, 19:31
Vor einigen Seiten wurde geschrieben das der deutsche Weizen nur Futterqualität hat. Nun soll er aber unsere Lebensmittelversorgung gewährleisten. Wie soll denn das gehen?
Nö, wurde nicht geschrieben :) Nur dass es schwierig(er) wird unter den aktuellen bzw. neuen/erneuerten Bedingungen Backweizen zu erzeugen.

Mal abgesehen davon dass nicht nur Brot ein "Lebensmittel" ist, und dass auf einer Fläche nicht immer nur Weizen wachsen kann :flag:
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Re: Meldungen aus Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion

#4124

Beitrag von penelope » Mi 10. Aug 2022, 07:37

Das Zitat aus der Agrarheute ist einfach nur ein ziemlich skrupelloses Lobbyisten-Interesse.
Man kann ganz klar sagen: da haben Leute Interesse daran, Menschen in existentieller Abhängigkeit zu halten, um an ihnen Geld zu verdienen.

Es sind leider einige Länder im globalen Süden, die abhängig von den Getreideexporten aus der Ukraine. Das liegt jedoch nicht daran, dass sie selbst nicht die Flächen haben, ihre eigene Bevölkerung mit traditionellen Lebensmitteln zu versorgen, sondern daran, dass die heimische Landwirtschaft nicht mit dem billigen Getreide aus den nördlichen Ländern konkurrieren konnte und aufgegeben hat. Das was an heimischer Landwirtschaft übrig ist, produziert dann meist Südfrüchte oder ähnliches für den Export und kann, wenn es dann mal wie jetzt zu einer Krise kommt, die eigene Bevölkerung nicht mehr ernähren. Aus diesem Grund verursachen Krisen im Norden Hunger im Süden.

Nun ist eine Notlage eingetreten und natürlich kann man die entstandenen Strukturen nicht von heute auf morgen ändern und es muss Nothilfe geleistet werden. Das soll passieren, in dem hier die Produktion ausgeweitet werden soll. Aber natürlich kann das eben nur das sein: eine Nothilfe. Langfristig müssen sich die Länder im Süden aus der Abhängigkeit vom Norden befreien können. Die bestehende Abhängigkeit von der Ukraine in eine Abhängigkeit von Deutschland/der EU umzuwandeln, bringt langfristig keine substantielle Verbesserung.

Dazu kommt, dass Özdemir gerade sehr angestrengt versuchen muss darauf hinzuwirken, dass die angekündigten Lockerungen bitte wirklich dazu genutzt werden sollen, Produkte für die Ernährung von Menschen zu erzeugen und nicht noch mehr für die Schweinemast und für die Biogasanlagen...

Ein sehr guter Artikel, der darlegt, wie Hunger auf der Welt entsteht, ist beispielsweise der hier:
https://www.republik.ch/2022/07/22/glob ... en-hungern

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Re: Meldungen aus Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion

#4125

Beitrag von Rohana » Mi 10. Aug 2022, 08:15

penelope hat geschrieben:
Mi 10. Aug 2022, 07:37
Es sind leider einige Länder im globalen Süden, die abhängig von den Getreideexporten aus der Ukraine. Das liegt jedoch nicht daran, dass sie selbst nicht die Flächen haben, ihre eigene Bevölkerung mit traditionellen Lebensmitteln zu versorgen, sondern daran, dass die heimische Landwirtschaft nicht mit dem billigen Getreide aus den nördlichen Ländern konkurrieren konnte und aufgegeben hat. Das was an heimischer Landwirtschaft übrig ist, produziert dann meist Südfrüchte oder ähnliches für den Export und kann, wenn es dann mal wie jetzt zu einer Krise kommt, die eigene Bevölkerung nicht mehr ernähren. Aus diesem Grund verursachen Krisen im Norden Hunger im Süden.
So funktioniert Globalisierung. Wenn es lukrativer ist Avocados für Deutschland anzubauen statt Hirse für die lokale Bevölkerung, warum sollte der Bauer der vermutlich eh bitter arm ist, das dann tun? Das ist genau derselbe Grund aus dem in Deutschland ebenfalls keine Hirse für die lokale Bevölkerung angebaut wird - die kommt billiger aus China. Diese Verschiebungen treffen auf lokale und globale Ernährungstrends... du wirst heute in Deutschland kaum noch jemanden antreffen der gerne und viel Hirse- bzw. Getreidebrei isst, obwohl das vor einiger Zeit (ok, länger her) hier Standard war. Heute muss es halt Brot sein und das stellt ganz andere Ansprüche an seine Zutaten, vor allem in der Form die vorwiegend gekauft wird, das ist NICHT das traditionelle Roggenbrot... leider.

Genauso gibt es in den ärmeren Ländern neue Ernährungstrends, die traditionelle Ernährung ist oft nicht mehr "in", man will sich was leisten können und eifert dem westlichen Vorbild nach. Halte ich für absolut katastrophal, aber wer wäre ich anderen Leuten vorschreiben zu wollen wie sie zu essen haben? Das funktioniert ja nichtmal bei meiner Tochter :roll:

Insofern stimme ich dir zu dass diese ganze Situation sehr paradox erscheint, aber es ist wesentlich zu kurz gegriffen da die Bauern (hüben wie drüben) verantwortlich machen zu wollen. Und was die Gnadenfrist der Stillegung angeht, ist es Unfug was der liebe Cem verlangt, dass wenn dort Weizen angebaut wird er Backqualität zu haben hat... wir sprechen von xbeliebiger Stillegungsfläche an xbeliebigem Fruchtfolgeglied. Ist schon scheisse wenn diejenigen die die Vorgaben machen, keine Ahnung von der Praxis haben.
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Re: Meldungen aus Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion

#4126

Beitrag von penelope » Mi 10. Aug 2022, 08:25

Es geht in der aktuellen Situation nicht darum, ob Menschen im Süden gerne typisch westliche Produkte essen wollen, sondern dass Menschen an Hunger sterben.

Es ist ein strukturelles Problem. Die Strukturen der Globalisierung sind menschengemacht und können ebenso von Menschen auch geändert werden. Das ist kein Schicksal, in das man sich zwangsläufig ergeben muss.

Ich schiebe keine Verantwortung individuell auf die Bauern - da ist mir schon klar, dass die im System gefangen sind und nur eingeschränkten Spielraum haben. Was allerdings sehr kritisch ist, sind Wirtschaftslobbyisten, die ausbeuterische Strukturen aufrechterhalten wollen, um daran Geld zu verdienen.

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Re: Meldungen aus Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion

#4127

Beitrag von Rohana » Mi 10. Aug 2022, 08:31

Ich fürchte die Globalisierung als solche lässt sich nicht mehr rückgängig machen. Auf der Hand läge, die Logistik SO teuer zu machen, dass lokale Produkte wieder entscheidende Vorteile haben und Importe mehr zum Luxus werden. Aber das muss politisch gewollt sein, und das ist es letzten Endes nicht, so wie's aussieht. :ua:
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Re: Meldungen aus Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion

#4128

Beitrag von penelope » Mi 10. Aug 2022, 08:34

Auf der Hand läge, die Produktion von Agrarprodukten über den Bedarf in eingenen Land hinaus nicht mehr zu subventionieren und in der Verteilung der Subventionen einen deutlich stärkeren Focus auf pflanzliche Eiweißquellen und nicht auf tierische Produkte zu legen.

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Re: Meldungen aus Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion

#4129

Beitrag von emil17 » Mi 10. Aug 2022, 08:43

penelope hat geschrieben:
Mi 10. Aug 2022, 07:37
da haben Leute Interesse daran, Menschen in existentieller Abhängigkeit zu halten, um an ihnen Geld zu verdienen.
Ich würde es so formulieren: es besteht kein aktives Interesse aus diesem Motiv, sondern es ist ihnen egal. Die haben in Cash crops im Süden inverstiert und wollen, dass die Rechnung aufgeht. Alles andere ist egal. Das ist der gleiche Unterscheid wie der zwischen Eventualvorsätzlicher Tötung und Mord.
An der Situation ändert es leider nichts.
Bei der Textilindustrie und bei vielen Rohstoffen läuft es ja ganz genau gleich. Wenn dann nix mehr zu holen ist, sind die Länder plötzlich autonom und politisch selbständig und dürfen nicht bevormundet werden.

@rohana: die Bedürftnisschaffung für neue Produkte ist ein Zweig des Marketings und ein wesentliches Standbein für den geschäftlichen Erfolg eines Konzerns. Ein schönes Beispiel ist Nestlé und Babymilchpulver.
Ansonsten hinkt dein Beispiel, denn der typische Kleinbauer ist verschuldet oder bloss Pächter und nicht frei in dem, was er anbaut. Sehr oft wurden die traditionellen Selbstversorgungs-Strukturen von korrupten Landesregierungen aktiv zerstört, weil ihnen gesagt wurde, dass man mit moderner Landwirtschaft und Cahs Crops den Lebensstandard heben könne.
Aus Sicht der freien Marktwirtschaft ist es natürlich so, dass der Bauer zwar beraten wird, er könne mehr verdienen, wenn er nur noch Avocados oder Kaffee macht und die Grundnahrungsmittel einkauft. Damit kann er die Schuldzinsen bedienen und wenn die Preise für das einzige was er hat nicht mehr stimmen, dann war es seine Entscheidung und er war selber schuld. Aber in dieser Situation sind ja viele Landwirte in Europa auch.
Nächster Schritt ist dann, das Land der überschudeten Kleinbauern, die die Wucherzinsen für ihre Kredite nicht mehr bedienen können, wird von Konzernen übernommen, "strukturell verbessert" (weg mit Hecken, Mischkulturen, Kleinviehställlen und so weiter) und man hat schön grosse Felder für Soja, Palmöl oder was gerade gefragt ist. Die Leute sind dann in den Slums oder ruinieren Wälder, um neues Land für die Ernährung ihrer Familie zu gewinnen.
Wie das geht, haben die alle von uns gelernt, ein schönes Beispiel hierfür sind die Highland Clearances (schon die Bezeichnung des Vorganges ist bemerkenswert) und auch die Hungersnot in Irlad von 1845 -49. Das ist mit ein Grund, warum das Verhältnis der Schotten und Iren zu den Engländern auch heute noch etwas, na ja, kompliziert ist.
Wenn man sich anschaut, wie die deutschen Landarbeiter von ihren Gutsherren behandelt wurden, war das auch nicht wirklich besser. Als Kanonenfutter für den Krieg waren die Leute dann gerade wieder gut genug.
Wer will, findet einen Weg. Wer nicht will, findet eine Ausrede.

Eule
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Re: Meldungen aus Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion

#4130

Beitrag von Eule » Mi 10. Aug 2022, 08:44

Rohana hat geschrieben:
Mi 10. Aug 2022, 08:31
Ich fürchte die Globalisierung als solche lässt sich nicht mehr rückgängig machen. Auf der Hand läge, die Logistik SO teuer zu machen, dass lokale Produkte wieder entscheidende Vorteile haben und Importe mehr zum Luxus werden. Aber das muss politisch gewollt sein, und das ist es letzten Endes nicht, so wie's aussieht. :ua:
Wieso? Genau das findet doch gerade statt, also Einschränkung oder Unterbrechung der globalen Lieferketten, wenn auch nicht aus Kostengründen, aber durchaus politisch gewollt - als Hebel zur Ausübung von Macht, oder als in Kauf genommener Kollateralschaden.

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