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von emil17 » Sa 5. Nov 2016, 11:24
Durch Kerntechnik entstehen unfehlbar radioaktive Abfälle, das sind neben den nicht verwerteten Ausgangsprodukten wie Uran oder gewollten Endprodukten wie Plutonium alle möglichen radioaktiven Isotope von anderen chemischen Elementen.
Dass jede Zerfallskette irgendwann mal aufhört und ob das dann Blei wird oder nicht, ist nur von akademischem Interesse, denn die Geschichte dauert wesentlich länger, als unsere eigene Lebenszeit.
Man kann auch behaupten, dass eine Substanz wie der chemische Kampfstoff Tabun unproblematisch sei, denn es zerfällt zu den harmlosen und lebensnotwenigen Elementen Phosphor, Stickstoff, Sauerstoff und Kohlenstoff.
Die Wirkung der Radioaktivität auf Lebewesen ist oberhalb einer extrem geringen Aktivität auf alle Lebewesen zerströrerisch, weshalb solche Substanzen unbedingt aus der Biosphäre ferngehalten werden müssen. Darin liegt das Problem, denn das gelingt nicht im ordentlichen Betrieb von Kernkraftwerken und schon gar nicht bei Unfällen.
Zur Mengenproblematik: Die in Tschernobyl freigesetzte Menge an Cäsium betrug weniger als 30 Kilogramm. Diese Menge hat ausgereicht, ganz Europa zu belasten, und 6400 km2 wurden für die Nutzung vollends aufgegeben. Das bedeutet, dass man mit 0.04 Gramm (!) radioaktivem Cäsium einen Hektar Landwirtschaftsland auf Hunderte von Jahren hinaus unbrauchbar machen kann.
Man muss also im Mikrogrammbereich sauber arbeiten bei technischen Prozessen, wo die problematischen Substanzen tonnenweise umgesetzt werden.
Bei radioaktivem Abfall besteht selbst bei ordungsgemässem, d.h. unfallfreiem und sauberem Betrieb ein grundsätzliches Problem. Das Zeug ist radioaktiv. Das bedeutet, dass es sich selber erwärmt und dass es seine Umgebung, z.B. die Behälterwand, dauernd radioaktiv bestrahlt. Und um sowas wird man sich Tausende von Jahren lang kümmern müssen.
Wer muss sich heute kümmern? Richtig: der Steuerzahler.
Wer wird sich morgen kümmern müssen? Interessiert die leute, die damit heute Geld verdienen können, herzlich wenig, also stellt man Ingenieure an und bezahlt die dafür, dass sie so tun als sei das Ganze technisch kein Problem.
Dieser Problematik kommt man auch mit schnellen Brennern und Kernmutation nicht aus, denn auch dort müssen radioaktive Substanzen in hohen Konzentrationen und grossen Mengen verarbeitet und transportiert werden, und auch dort besteht das grundsätzliche Problem, dass durch die Bestrahlung der Zuschlagstoffe und Behälterwände und Werkzeuge wieder neue Isotope mit unerwünschten Eigenschaften entstehen.
Man ersetzt also bestenfalls eine Sorte Abfall durch einen andere.
Das ist so wie Umschuldung in hoffnungslosen Fällen. Man löst einen Kredit durch einen anderen ab und hat wieder eine Weile Ruhe, zwar mehr Schulden, aber spätere Fälligkeit.
Das Problem besteht grundsätzlich und dürfte jedem bekannt sein, der schon mal in einem Laboratorium gearbeitet hat. Es sind keine Prozesse bekannt, welche nicht die Entropie vergrössern und die keine Abfälle erzeugen.
Radioaktive Abfälle bestehen aus radioaktiven Isotopen von natürlicherweise vorkommenden chemischen Elementen.
Isotope sind Atome, die sich nur in der Anzahl Neutronen im Kern voneinender unterscheiden. Weil die Protonenzahl gleich ist, gehören all diese Isotope zum gleichen chemischen Element und unterscheiden sich im chemischen Verhalten nicht. Je nach Anzahl Neutronen sind sie aber instabil und zerfallen radioaktiv zu etwas anderem.
Beispiel Jod: Das biologisch wichtige Element Jod hat als stabiles Isotop 53 Protonen und 74 Neutronen. Das bei Kernreaktoren in Mengen gebildete Jod 131 hat 4 Neutronen mehr und zerfällt darum radioaktiv mit einer Halbwertszeit von etwa 8 Tagen.
Das grosse Problem an der Sache ist nun, dass die radioaktiven Varianten von allen Lebenwesen nicht von den stabilen unterschieden werden (da es ja die gleichen Elemente sind, verhalten sie sich chemisch gleich) und deshalb in den Stoffwechsel und in den Körper geraten. Durch den Zerfall werden die Zellen beschädigt und die Erbsubstanz zerschossen, was je nach Dosis zu den bekannten Folgen Strahlenkrankheit und Krebs führt. Beim Jod wird die radioaktive Variante genau wie die stabile in der Schilddrüse eingebaut, was zu einer sehr effizienten Bestrahlung "von innen" führt.
Die radioaktive Wirkung auf Lebenwesen ist bei Substanzen mit einer geologisch kurzen Halbwertszeit von Tagen bis zu einigen zehntausend Jahren viel grösser als die chemische, so dass die Giftigkeit einer Substanz hinter der radioaktiven Wirkung völlig zurücktritt.
Die natürliche Radioaktivität wird von den Befürwortern der Kernenergie gerne dafür missbraucht, um zu zeigen, dass die ganze Sache ja harmlos sei, weil Radoaktivität eben allgegenwärtig sei. Sie verschweigen aber bewusst, dass die Konzentrationen und die beteiligten Substanzen ganz andere sind.
Das ist etwa so, wie wenn jemand einen Tank mit hochkonzentrirter Schwefelsäure in die Wohnung stellt und findet, es sei harmlos, denn der in jedem Haushalt vorhandene Essig sei ja auch sauer und niemand mache deswegen eine Geschichte.
Wenn radioaktive Substanzen in die Umwelt geraten, bestimmt das chemische Verhalten, was damit passiert und wo sie sich anreichern, bevor sie zerfallen. Als Faustregel gilt, dass man rund zehn Halbwertszeiten abwarten muss, bis die Anfangsaktivität auf 1 Promille abgenommen hat. Beim Cäsium 137, das in Fukushima und Tschernobyl frei wurde, sind das rund 300 Jahre. Das ist für Geologen extrem kurzlebig und deshalb wird der Begriff "kurzlebige Isotope" für solche Substanzen verwendet, obwohl sie für unsere Zeitmasstäbe alles andere als kurzlebig sind.
Cäsium ist nun als Element der ersten Hauptgruppe im Periodensystem chemisch wie Natrium und Kalium sehr mobil und wird überall ausgewaschen und verbreitet. Unter anderem deshalb hat die Betreiberin von Fukushima ja immer noch ihre liebe Mühe, das Auswaschen in den Pazifik zu verhindern. Eine biologische Bedeutung des Elements ist nicht bekannt, es kommt normalerweise nicht im Körper vor und ist nicht toxisch (Wiki). Aber es wird aufgenommen und ausgeschieden, und was sich im Körper befindet und zerfält, entfaltet seine unheilvolle Wirkung.
Es gibt eine plausible Theorie, nach welcher die Entstehung höherer Lebensformen erst im frühen Kambrium (vor ca. 500 Mio. Jahren) eingesetzt hat, weil erst dann die natürliche Radioaktivität in den oberflächennahen Schichten der Erdkruste genügend abgeklungen sei, um die Biochemie und Genetik der mehrzelligen Lebewesen zu ermöglichen. Das möchte man mit der Kerntechnik offenbar wieder rückgängig machen.
Was an der Sache mit der Urangewinnung auch fehlt, ist eine Energiebilanz über den ganzen ordnungsgemässen Betrieb, d.h. von der Gewinnung über das Handling bis zur Endlagerung einschliesslich dem vollständigen Rückbau der Kraftwerke, die ja auch nicht ewig, sondern nur einige Jahrzehnte leben. Ich hab den dringenden Verdacht, dass das ein Hype ist, um die Aktienkurse einiger Konzerne zu befeuern. Würde es gelingen, wäre es für die Biosphäre eine Katastrophe.
Wer will, findet einen Weg. Wer nicht will, findet eine Ausrede.