letzte Woche saßen wir mit ein paar Leuten von Oldtimerverein, unter anderem um Veranstaltungen zu planen.
Zum Beispiel müssen wir aufpassen, terminlich nicht mit der Nachbargemeinde zu kollidieren, die alle 2 Jahre ein riesen Treckertreffen veranstalten und uns das Publikum abjagen würde.
Meine Frage, warum bei denen eigentlich das halbe Dorf mithilft, und bei uns nur Dödels sind, die zum Teil noch nichtmal zum Gucken den A.. vom Sofa kriegen brachte eine interessante Antwort: "Die sind ja auch ein natürlich gewachsenes Dorf!"
Und in der Tat, unser Nest ist eigentlich kein richtiges Dorf.
Es gab ein richtiges, kleines Dorf, mit Kirche, Kneipe, Tante-Emma-Laden.
In den 20ern hat das Preusische Kultusministerium beschlossen, zur besseren Versorgung von Berlin hier "Farmer" anzusiedeln.
Es wurden so (schätz ich mal) 40 Häuser, alle gleich hingestellt, dazu gabs 10 Morgen Land und nen Hühnerstall von 6 x 30 m, hab grad abgeschritten. Die "Siedlung", (die Alten unterscheiden noch "die Siedlung" und "das Dorf") kriegte ein Wasserwerk und zentrales Trinkwasser. Die andern Dörfer hattesn das so 2000 oder noch später.
Geplant wurde das alles zusammen mit der Freien Universität Berlin, und da müssen wahre Schreibtischtäter gesessen haben.
Wir konnten uns gestern nicht auf ne Bodenzahl einigen, aber vielleicht so 25. Ich jedenfalls hab hier noch ne "Unfruchtbarkeitsbescheinigung" aus DDR-Zeiten, damit hat sich mein Opa von der Agrarsteuer befreien können. (Beim Finanzamt nennt sich das "Unland".) 5 km weiter haben die Zisterzienser 1180 ein Kloster gegründet, schwarze feuchte humose Erde. Die wußten, was sie tun. Die in Berlin nicht. Das ganze liegt in einer Frostfalle, wir haben hier morgens oft 3 Grad weniger als da am Kloster. (Ich arbeite da, und nein, nicht als Mönch
Mein Uropa hat dem Erzählen meiner Oma nach 800 Obstbäume gepflanzt, im ersten Winter sind ihnen 300 davon erfroren.
Eisheilige - deshalb kamen wir gestern noch mal auf das Thema - immer schön rein in die Blüte. Unser Freund, mit dem wir gestern das Thema noch mal augegriffen haben, Gärtner in der 2. Generation hier meint, 2 von 3 Jahren Totalausfall bei Äpfeln, der wohnt allerdings noch nen Meter tiefer und auch dichter an der "Fenne", von wo die kalte Luft einfällt.
Gekauft haben das dann soche Narren wie mein Uropa, der vorher mit seinem Sohn am anderen Ende der Welt nach Öl gebohrt hat. Beruf Ölbohrmeister, sein Sohn hatte 2 Facharbeiter, Bohrarbeiter und Kfz-Schlosser. Also: größenwahnsinnig, ohne jede Fachkenntis von Landwirtschaft und vielleicht von einem Selbstversorgertraum beseelt. Ich muß grad lachen, da hab ich wohl ne Menge geerbt...
Naja, ich komm vom Thema ab, kurz, es ist alles schiefgelaufen, was sie angefasst haben, bis sie sich einen LKW gekauft haben und das Zeug der anderen, die offenbar erfolgreicher waren morgens nach Berlin gefahren haben und die Hotels damit beliefert. Der Laden brummte, der 2. LKW war angezahlt, dann hat Adolf den LKW für seinen Krieg konfisziert und dann war das auch gelaufen.
Nun gut, wie sie dann so sv-mäßig durch den Krieg gekommen sind, mit ca. 15 Personen, die ausgebombte Verwandschaft aus Bln. ist eine andere Geschichte.
Bei Kriegsende sind viele geflohen, manche haben sich erhängt, und das aus gutem Grund, wie sie mit den polnischen Fremdarbeitern umgegangen sind. Andere sind gekommen.
In der DDR wurden dann hier massiv Gewächshäuser aufgestellt, fast wie in Holland, nur ohne Grachten.
Dafür wurde die Fenne (hier sagen die Leute "die Fenne", in meiner Heimatstadt sagt man "das Fenn" - falls der Begriff ungeläufig sein sollte, das ist son Moorsee in etwa) ausgebaggert. Hier fangen auch meine echten Erinnerungen (ich war hier nur in den Ferien), so ab 70 vielleicht an, erst nur ein kleines Loch, dann jahrelang Bagger, jetzt ist es ein richtiger kleiner See, vielleicht so 800 m lang und max. 100 breit. Mit 2 Badestellen. Da bin ich nicht traurig um den Torf, auch wenns unöko ist.
In dem Zuge haben sie aber noch eine neue Straße ausgebaut, für die Arbeiter in den Gewächshäusern.
Mit so komischen Beton-Welldächern. WIr nennen es China-Town.
Dann gabs noch die Armee, mit so richtig schönen DDR-Plattenbauten. Wir nennen es "das Ghetto".
Die Armee ist weg. Die Hartzer bleiben.
Nach der Wende ist da oben aus nem Acker Bauland geworden, da stehen jetzt so 80 oder 100 Reihenhauswohneinheiten.
Die Straße heißt "am Hang", wir nennen das ganze "das Ghetto am Hang".
So leben jetzt hier an die 2000 Seelen.
Es ist keine Stadt, aber es ist auch kein Dorf. Ein zusammengewürfelter Haufen, wofürs keinen Namen gibt. Kein Wunder, dass hier nichts läuft.
Und so eben ein unnatürlich gewachsenes Dorf.
Wer jetzt nach einem Sinn sucht, sucht vergebens. Hab nur laut nachgedacht.
LG
Olaf
