Unterschiede Rind/Schaf-Ziege in urtümlicher SV

Was halt nirgendwo passt
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Thomas/V.
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Unterschiede Rind/Schaf-Ziege in urtümlicher SV

#1

Beitrag von Thomas/V. » Di 28. Jan 2014, 21:16

Mal ne ganz blöde Frage: Welche Unterschiede in der Haltung und Zucht gibt es zwischen Rindern und Schafen/Ziegen?
Mir geht es vor allem darum, herauszuarbeiten, wie das im Neolithikum war, als die Leute noch Selbstversorger waren.
Wie und warum haben sich aufgrund der Unterschiede Rinder-Hirten von den seßhaften Ackerbauern und Schaf-Ziegen-Haltern "abgespalten" und sind zu Nomaden geworden?
Ich gehe mal davon aus, das ursprünglich in einem Dorf sowohl Rinder als auch Schafe/Ziegen gehalten wurden und dort auch mit der Züchtung begonnen wurde.
Was könnte die Ursache gewesen sein, das sich dort später Rinderhirten abgespalten haben und eine eigenständige Kultur entwickelten?
Mir gehts dabei vor allem um die Aspekte Futter- und Wasserbedarf, Haltung und Zucht, Widerstandsfähigkeit gegen Klimaschwankungen usw., also Nutztierökologie und -ökonomie.

Vielleicht weiß ja jemand darüber was Näheres?
Lassen sie mich durch, mein Bruder ist Arzt!

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Reisende
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Re: Unterschiede Rind/Schaf-Ziege in urtümlicher SV

#2

Beitrag von Reisende » Di 28. Jan 2014, 21:51

erster gedanke:
wenn man nomadisch durch die gegend zieht, kann man größere herden halten, als wenn man auf örtliches futterangebot beschränkt ist. da großvieh ja ne ganze menge mehr futter braucht als ziegen oder schafe, könnte auch das allein schon in kargeren gegenden ein grund gewesen sein.
da ich laktose und gluten hervorragend vertrage, leiste ich mir als ausgleich dafür einige intoleranzen im zwischenmenschlichen bereich.

hunsbuckler
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Re: Unterschiede Rind/Schaf-Ziege in urtümlicher SV

#3

Beitrag von hunsbuckler » Di 28. Jan 2014, 23:12

Also Schafe/Ziegen (die archäologisch kaum zu unterscheiden sind) wurden deutlich früher gezähmt als Rinder.
Der Grund liegt auf der Hand:

1. waren S/Z viel zahlreicher als R, wurden weitaus häufiger erbeutet (weil man eben auch mehr davon braucht) und
2. weniger gefährlich. Wildrinder sind extrem aggressiv und wehrhaft, stellten sich zum Kampf, statt sich zu Tode hetzen zu lassen. Deshalb kam es
3. viel häufiger vor, daß mutterlose Lämmer aufgezogen werden konnten, weil es häufig Zwillinge waren und wenn eins verstoßen wurde, konnte man damit üben. Lämmer sind wesentlich leichter aufzuziehen als Kälber wegen des geringeren Milchbedarfs (konnten zur Not von Menschenmüttern gesäugt werden - bei Kälbern wär das sehr schmerzhaft).
4. auf Menschen geprägte S/Z sind als Herdentiere bereit sich dem Menschen unterzuordnen, während Rinder oft erfolgreich versuchen, Menschen zu dominieren. S/Z lassen sich mit Hunden treiben, während Rinder auf Hunde äußerst aggressiv reagieren.

Also mußten die Menschen erst generationenlange Erfahrungen mit Herdentieren sammeln, bevor sie nur daran denken konnten, sich Rinder zu unterwerfen.
Welche Mutprobe das bedeutete, ist bis heute in den rituellen Stierkämpfen überliefert.

Es waren auch nur der Ur (Gaur), Wasserbüffel, Yak und Banteng zähmbar;
Pferde und Altweltkamele wurden erst spät domestiziert;
Bison, Wisent und afrikanischer Kaffernbüffel blieben bis heute ungezähmt, obwohl es an gescheiterten Versuchen gewiß nicht gefehlt hat.

Im Gegensatz zum Indischen Elefanten hat sich der Afrikanische Elefant einer Zähmung im großen Stil widersetzt.

Ebenso blieben übrigens Zebras, Wildesel, und die meisten Gazellen/Antilopen im wesentlichen ungezähmt, weil ihr Konkurrenz-Flucht+Fortpflanzungsverhalten einfach nicht mit Herdenhaltung vereinbar ist.
Einen Grenzfall stellt das europäische Ren (im Gegensatz zum ungezähmten nordamerikanischen Karibu) dar:
Dort folgen die Menschen der Renherde mehr als sie sie lenken.
Liebe Grüße, Hans www.jugendrettet.org

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Rallymann
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Re: Unterschiede Rind/Schaf-Ziege in urtümlicher SV

#4

Beitrag von Rallymann » Mi 29. Jan 2014, 07:10

Auch zu bedenken wäre, dass die Sippe/Familie mehr Ziegen oder Schaf halten konnten als Rinder. Also auf gleicher Fläche.
Wird geschlachtet, ist ne Ziege ein essen für die Familie und ein Rind vieleicht zu gross. Mangels konservierung wäre das Rind schlechter zu verwerten.
Hab ich 50 Ziegen und schlachte ein Tier hab ich noch 49. Halte ich auf gleicher Fläche 5 Rinder und schlachte 1 Tier, ist der prozentuale Bestandsverlust höher. Die Reproduktionsrate von Rindern ist auch geringer und die Haltung bis zur Schlachtreife dauert länger. Schafe Ziegen sind kleiner, leichter, genügsamer, robuster und wendiger. Im Nomandenleben, wo es über Stock und Stein geht ist das von Vorteil.

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Thomas/V.
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Re: Unterschiede Rind/Schaf-Ziege in urtümlicher SV

#5

Beitrag von Thomas/V. » Mi 29. Jan 2014, 16:53

Danke erstmal für Eure Antworten. Vielleicht kann ja noch jemand was dazu sagen, Manfred vielleicht?
Lassen sie mich durch, mein Bruder ist Arzt!

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Re: Unterschiede Rind/Schaf-Ziege in urtümlicher SV

#6

Beitrag von Eule » Mi 29. Jan 2014, 18:51

Es gibt noch einen Grund, weshalb sich Rinderhalter von S/Z abgespalten haben: Es ist die Art zu fressen: S/Z beißen das Gras mit den vorderen Schneidezähnen ab und können deshalb auch noch ganz kurzes Gras fressen, während die Rinder das Gras in der Regel mit der Zunge umschlingen und rausrupfen. Das bedeutet, wenn erst mal die S/Z eine Fläche abgegrast hatten, war für die Rinder nicht mehr genug übrig, das Gras war dann zu kurz. Rinder versuchen dann zwar auch manchmal mit den Zähnen abzubeißen, aber da ihr Maul/Lefzen viel dicker sind als die Lippen der Schafe kriegen sie nichts mehr. Die Lösung erst Rinder grasen zu lassen und dann die Schafe brachte auch nicht viel, weil es viel länger dauerte bis das Gras für die Rinder ausreichend lang war. Deshalb brauchten die Rinder insgesamt eine viel größere Fläche, selbst wenn es viel weniger Rinder als S/Z waren.

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Re: Unterschiede Rind/Schaf-Ziege in urtümlicher SV

#7

Beitrag von Benutzer 3370 gelöscht » Mi 29. Jan 2014, 19:11

Ich könnte mir vorstellen, dass es auch sehr stark von den topographischen Möglichkeiten abhängig war.
Eine Kuh im kroatischen Karst kann ich mir schwerer vorstellen als eine Ziege, die so gut wie alles frisst und überall hinkommt.
Abgesehen davon gab es Neolithikum wahrscheinlich keine ausgedehnten Grasweideflächen, eher alles verbuscht oder bewaldet. Unsere Almen sind Kulturland, also erst durch Beweidung und Nutzung entstanden. Ziegen sind da ein guter "Saubermacher", da bleibt kein Strauch oder Baum bestehen der nicht mindestens Oberschenkeldick ist.
Naja, das sind meine laienhaften Überlegungen, aber sie kommen nicht aus dem Hirngespinst sondern aus eigener Anschauung. Hatte nämlich einen Teil meines Grundstücks (7-800 m²) der komplett verwildert war.
Die Überlegung wie ich den ohne viel Mühe halbwegs roden könnte führte mich zu den Ziegen.
Vier Ziegen und ein halbes Jahr und razfaz ist alles sauber.

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Re: Unterschiede Rind/Schaf-Ziege in urtümlicher SV

#8

Beitrag von Olaf » Mi 29. Jan 2014, 22:12

So bin ich zu meinen auch gekommen...und Deine Beobachtungen kann ich aus Teilen Grichenlands nur bestätigen, die riesigen halbwilden Herden auf Chalkidiki, da konnte man nur Ziegen und Bienen halten, die Ziegen können klettern und die Bienen fliegen. Für alles andere ist das Land ungeeignet.
Eigentlich bin ich ein netter Kerl.
Wenn ich Freunde hätte, könnten die das bestätigen.

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Re: Unterschiede Rind/Schaf-Ziege in urtümlicher SV

#9

Beitrag von Rati » Do 30. Jan 2014, 12:37

Ich könnte mir vorstellen das auch die Rinder an sich das Nomadenleben der Hirten auslösten.
Die Herde zieht, und die Hirten mussen mitziehen. Rückhaltesysteme gabs da ja noch nich soo.
Ähnlich den Samen mit ihren Rentieren.


Grüße Rati
Was ist ist! Was nicht ist ist möglich!"
[Einstürzende Neubauten 1996]

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Re: Unterschiede Rind/Schaf-Ziege in urtümlicher SV

#10

Beitrag von hunsbuckler » Di 5. Jan 2016, 03:30

Hierzu paßt noch ein interessantes Fundstück über Studien, die untersuchen, ob Landwirtschaftstechniken eher durch Migration oder Kulturaustausch verbreitet wurden.

http://www.heise.de/tp/artikel/47/47011/1.html

Genetischen Untersuchungen zufolge wanderten Bauern mit Tieren und Pflanzen aus der Levante und Anatolien über das Donautal ein und vermischten sich nur allmählich mit den Ureinwohnern.
Genetische Anpassungen erfolgten im Hinblick auf Resistenz gegen Zoonosen (auf Menschen übertragbare Tierkrankheiten),
auf Laktosetoleranz sowie helle Haut zur besseren Vitamin-D-Versorgung.
Liebe Grüße, Hans www.jugendrettet.org

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