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Frueher waren die Leute zufriedener, oder?

Verfasst: Fr 16. Dez 2011, 00:32
von citty
Hallo,

wenn ich mir die Supermaerkte so anschaue und jedesmal erlebe mit wieviel (unnoetigem) Zeug wir nach Hause kommen, frage ich mich wie unsere Grosseltern, zum Teil auch noch die Eltern auskamen und dabei anscheined zufriedener waren als wir es sind.

Die Eltern meiner Mutter (beide um 1900 geboren) hatten zwar keinen Bauernhof aber eine grosse Scheune mit Ziegen-, Schweine- und Huhnerstall mit Legehennen und Masthaehnchen hinter ihrem Haus. Mein Opa war Saegemueller, meine Oma hat den Haushalt, Garten und die Tiere versorgt. Die Ziegen wurden 2x taeglich gemolken, aus der Milch Butter und Kaese gemacht. Was nicht verbraucht wurde, bekamen das Schwein und die Huehner. Es wurden Kartoffeln und etwas Getreide angebaut und im Garten wuchs jede Menge Fruechte und Gemuese nur das Allernotwendigste wurde gekauft. Sie hatten zwar Strom aber der wuerde nur fuer Licht, spaeter auch fuer das Buegeleisen und das Radio (Volksempfaenger) benutzt. Ansonsten mit Holz und Kohle geheizt ,Holz gab es im eigenen Wald.
An Lebensmittelnwurde eingekauft: Mehl sobald das eigene Mehl verbraucht war, Gewuerze, Zucker, Honig, Kakao fuer besondere Anlaesse, Linsen, ab und zu Fisch, Rindfleisch, Kaese und das war's eigentlich.

Alle anderen Lebensmittel wurden selbst erzeugt! Das Schwein wog an die 2 Zentner, die Dorfnachbarn brachten sich untereinander Fleisch und Wurst wenn frisch geschlachtet wurde und sie bekamen Kuhmilch vom Grossvater, der eine groessere Landwirtschaft hatte.

So oder so aehnlich lebten bis in die 40er Jahre unzaehlige Deutsche mit Ziegen und Huehnern etc. Im Norden hatten die Leute wohl auch oefters ein oder 2 Kuehe. Ich habe das in Polen gesehen gleich nach dem Mauerfall: auf dem Land hatten (haben?) sehr viele Leute eine Kuh, die oft am Strassenrand angetuedert wird um Gras zu fressen, abends wird sie in den Stall geholt und gemolken.

Die Eltern meines Vaters hatten nur Huehner, Kaninchen und einen Garten, da beide gearbeitet haben.

Leider hat das alles in den 50 Jahren aufgehoert und die Leute der Landwirtschaft den Ruecken gekehrt, obwohl die Arbeit dank der Maschinen einfacher wurde. Meine Eltern wollten einen "richtigen" Beruf haben und ich bin dan (leider) nicht auf dem Bauernhof gross geworden sondern im Einfamilienhaus mit ein paar Haustieren. Die Sehnsucht nach den Landleben bleib, anfangs hatten meineEeltern noch ein paar Huehner und Enten, in den 60er und 70er Jahren wurde das immer verpoehnter und "versteckter" bis dann alle ihren sterilen Garten hatten. Aber gluecklicher ist kaum einer damit geworden, deshalb erzaehlen die Leute so gern von der guten alten Zeit...Wie war das bei Eltern und Grosseltern?

LG, Citty

Re: Frueher waren die Leute zufriedener, oder?

Verfasst: Fr 16. Dez 2011, 06:20
von Bunz
Hallo citty,
es hindert Dich niemand, es Deinen Großeltern gleich zu tun.
Und das meine ich keineswegs ironisch, sondern völlig normal.
lg
Bunz

Re: Frueher waren die Leute zufriedener, oder?

Verfasst: Fr 16. Dez 2011, 08:13
von marion
Interessant :hmm: . Das sind so Gedanken, die mir auch öfters durch den Kopf gehen. Mein "Ergebniss" : wir haben heute "zuviele" Möglichkeiten und dadurch bedingt eine unterschwellige und ständige Unzufriedenheit. Gepaart mit Reizüberflutung und Psychoterror ( Werbung )
Es hat sich alles soooo wahnsinnig schnell verändert. Manchmal - wenn ich meinen Kindern aus meiner Kindheit erzähle - komme ich mir uralt vor und/oder wie von einem anderen Stern. Dabei ist das gar nicht so lange her ( bin 42 ).
Wenn man sich mal so überlegt, was sich allein alles nur in den letzten 50 Jahren gravierend verändert hat ... die Menschen haben allen Grund unzufrieden zu sein. Auch wenn ihnen die Werbung z.B. anderes vorgaukelt. Es wurden Jahrtausende alte Werte und Verhaltensweisen über Bord geschmissen. Und das in einem Wimpernschlag der Geschichte. Wir überholen uns selbst ...

Die Qual der Wahl

Liebe Grüße,
Marion

Re: Frueher waren die Leute zufriedener, oder?

Verfasst: Fr 16. Dez 2011, 10:17
von Olaf
Ach....
Ich glaube, das liegt nur ein der Eigenart der Menschen, die Vergangenheit zu glorifizieren. Ob meine Oma aus den Jahren der Weltwirtschaftkrise berichtete, oder der Zeit des Krieges (dann schon auf dem Land wohnend), ob ich mich an meine Armeezeit erinnere oder auch nur meine Jugend im Osten. Das war nicht immer schön, aber die unschönen Sachen verdrängt man schneller.Ich glaube nicht, dass es meinem Opa Spaß gemacht wocheüber auf Montage zu arbeiten und am WE am Haus zu bauen oder den Garten zu bestellen. Oder um weiter zurück zu gehen, ich sitz ja hier auf nen ehemaligen Klostergelände. Obs die Mönche zufrieden waren, hier in Gebäuden ohne auch nur eine einzige Feuerstelle (außer Küche) zu überwintern, und sich im Sommer von den Slaven erschlagen lassen zu müssen. Zum andern, wie verzweifelt müssen die Slaven gewesen sein, um die Mönche zu erschlagen. Also auch das Mittelalter verspricht nicht Zufriedenheit.
Die Zeiten waren immer hart, vielleicht liegt die am wenigsten harte grad hinter uns.
Der Mensch ist nie zufrieden. Das macht ihn irgendwo auch aus. Es gibt zufriedenere und extrem unzufriedene. Das liegt aber an den Menschen und nicht den Zeiten.
Glaubt Olaf

Re: Frueher waren die Leute zufriedener, oder?

Verfasst: Fr 16. Dez 2011, 10:45
von die fellberge
Ich denke auch nicht, das die Menschen *früher* zufriedener waren!

Hader, Zank und Neid sind keine neue Erfindung.

Existenzängste, Kindersterben, harte körperliche Arbeit, Missernten- die zur Katastrophe führten, Tagelöhnerdienste- das wird doch niemanden zufrieden gemacht haben!

Es war halt so, die Alternative kannte man nicht!

DAS ist die Krux- durch das www und Fernsehen, kennt man das *ANDERE* Leben, was man gerne führen würde!

Wünsche werden geweckt, Konsumgüter angepriesen- da hilft es kolossal keinen Fernseher zu haben,macht das Leben ruhiger!

Re: Frueher waren die Leute zufriedener, oder?

Verfasst: Fr 16. Dez 2011, 10:47
von Benutzer 72 gelöscht
hallo!

Ich bilde mir ja ein, zu den zufriedenen Menschen zu gehören :holy:
Und genau darüber hatte ich eben eine interessante Erklärung gelesen, über die grundlegenden Unterschide zwischen der "westlichen" und "fernöstlichen" Denkungsart...
Der Hauptunterschied sei, dass wir im Westen daran glauben, wir seien unseres Glückes Schmied während in Fernost nicht daran geglaubt wird, dass man sein Leben völlig selber gestalten kann. Es wird viel mehr Wert gelegt darauf, dass man sich mit jeder Situation arrangieren kann, "anpassen".

Wenn ich so zurückdenke an meine Großeltern, vor allem sie, die Oma - die haben das Leben einfach akzeptiert, wie es ist, und waren glücklich damit!

Ich glaube, diese Einstellung war früher (wahrscheinlich gezwungenermaßen) viel mehr verbreitet.
Und man hat die "individuelle Freiheit" gar nicht so sehr als großes Ideal hingestellt.
Am Ende macht uns die Vorstellung unglücklich, alles sei machbar (und ist es dann aber doch nicht...)?

@Bunz: ja, man kann es auch heutzutage so machen - bis auf diesen Punkt, auf den muss man in vielen Situationen wohl verzichten:
citty hat geschrieben:die Dorfnachbarn brachten sich untereinander Fleisch und Wurst wenn frisch geschlachtet wurde und sie bekamen Kuhmilch vom Grossvater, der eine groessere Landwirtschaft hatte.
Das dürfte ein "mit der gegebenen Situation zufrieden sein" ein bisschen härter machen - regionaler Warentausch macht glücklich!
Nette Nachbarn auch - selbst wenn diese Nettigkeit "erzwungen" ist, nicht individuell aus freier Entscheidung so ;)
Selber nett sein macht auch glücklich und sich als gottgefällig erleben .....

@die fellberge: nein, das hat die Menschen nicht glücklich gemacht - aber sie waren trotzdem glücklich.

Wir habens heute sooo gut und trotzdem macht sich viel Frust breit - wieso??
Vielleicht ist das sowas ähnliches, wie wenn man sich an seinem Lieblingsessen überessen hat??

liebe Grüße!

Re: Frueher waren die Leute zufriedener, oder?

Verfasst: Fr 16. Dez 2011, 10:52
von Thomas/V.
Ich sehe das wie Marion.

"Eigentlich" wollen doch die meisten Leute einfach nur "in Ruhe" ihr Leben leben, nicht allzuviel Veränderung, aber auch nicht andauernden Stillstand.
Nun wird ihnen aber ständig suggeriert, "die Welt" verändert sich, also hätten sie sich gefälligst auch zu verändern, was natürlich Blödsinn ist, weil sich "die Welt" gar nicht verändert, sondern wir selber dies veranstalten.
Das steht aber wieder im Widerspruch dazu, das der Mensch nicht dafür "geschaffen" ist, andauernd, in rasender Geschwindighkeit und lebenslang sich zu verändern. Das führt dann zu unterschwelliger Unzufriedenheit und allen möglichen Problemen, die daraus folgen.
Auch das, was Olaf sagt, ist natürlich richtig, aber wohl nicht das ganze Problem, sondern nur ein Teilaspekt.

Re: Frueher waren die Leute zufriedener, oder?

Verfasst: Fr 16. Dez 2011, 10:55
von Thomas/V.
ja, Ina, diesmal kann ich Dir vollkommen zustimmen :daumen:

Re: Frueher waren die Leute zufriedener, oder?

Verfasst: Fr 16. Dez 2011, 10:56
von die fellberge
Wer ist heute denn glücklich, nach getanem Tagwerk auf einer Bank zu sitzten und dem Sonnenuntergang zuzuschauen?

- oder: dem Schwein beim suhlen zuzuschauen???????

Zufriedenheit ist ein wertvolles Gut- ich schließe sie in die Wünsche zum Jahreswechsel, neben Gesundheit, immer mit ein.

Re: Frueher waren die Leute zufriedener, oder?

Verfasst: Fr 16. Dez 2011, 11:37
von Knurrhuhn
Es ist vielleicht auch eine Frage der Definition von "früher". Was betrachtet man als "früher" - vor 20-30 Jahren, oder vor 100-200?
In jeder Epoche hatten die Menschen wohl ihre Sorgen und Nöte, nur haben diese sich eben verändert. Waren es damals marodierende Banden, so ist es heute die Bedrohung durch AKWs oder so.

Mein Vater (Jahrgang 1932) wuchs auch in einer Selbstversorgersituation auf - eine Kuh, ein Schwein, Hühner, Kaninchen, eigenes Gemüse und Obst. Alles wurde selbst gemacht so weit es ging, seine Oma war eine Art "Kräuterhexe" und sehr heilkundig und hat von früh bis spät geackert und sich noch um die Enkel gekümmert. Sie gebrauchte auch eine Wünschelrute und hat das meinem Vater gezeigt, der das auch konnte.
Leider wuchs mein Interesse an dieser Art von Leben erst vor kurzem, und da war mein Vater schon innerlich immer weiter davon entfernt und froh über die (vermeintlichen?) Segnungen des bequemen Lebens. In meiner Kindheit hat er viel von den alten Zeiten erzählt, was ich immer sehr spannend fand - doch als es dann für mich wirklich interessant wurde im Sinne von "ich will was darüber erfahren und lernen" sprach er immer seltener darüber und ließ sich auch nicht mehr viel entlocken wenn ich nachfragte.
Ob er damals zufriedener war kann ich nicht sagen, aber ich glaube auch nicht, daß er diese alten Zeiten glorifizierte.

Ich denke es liegt auch daran, daß man sich ja weiterentwickelt in den Jahren, und nicht nur die Zeiten oder die Gesellschaft sich verändern, sondern man selber auch. Als Kind lebt man in anderen Zeiten als als Erwachsener, und hat aber auch durch seine allgemeine Lebenserfahrung eine andere Wahrnehmung und Sicht der Dinge, setzt andere Prioritäten usw....
Ich war als Kind bestimmt nicht immer zufrieden mit meinem Leben als solches, aber trotzdem hatte ich viele schöne und zufriedene Momente und konnte mich schon immer an Kleinigkeiten oder der Natur freuen.

Meine Grundstimmung ist glaube ich seit meiner Jugend immer die gleiche, und ich habe auch eine gewisse Bescheidenheit in die Wiege gelegt bekommen, die sich nicht verändert hat. Ich persönlich denke aber, daß ich zufriedener werde im Laufe der Jahre. Das liegt aber nicht an damals-heute oder irgendwelchen besseren Zeiten. Das liegt einfach daran, daß ich mich persönlich weiterentwickle, in vielen Dingen bewußter geworden bin, meine Einstellung zu den Dingen sich verändert, usw.....

Ich glaube, Menschen die sich nicht entwickeln, sich in einer Art innerer Starre befinden, sind die Zeiten in denen sie leben ziemlich gleich, oder sie werden vielleicht eher unzufriedener weil sie unbewußt eine Art Defizit verspüren. Die lassen sich dann einlullen von Werbung (der Begriff Psychoterror trifft es übrigens sehr gut!), schauen neidisch auf den Nachbarn der knusperbraun von den Malediven zurück kommt oder ein besseres Auto hat, geraten in emotionale Not wenn sie sich nicht den neuesten Technikkrempel leisten können, wieder mal nicht befördert worden sind, usw. usw.....

Zufriedenheit liegt in jedem Individuum und seiner Einstellung zum Leben, denke ich.

Was ich allerdings beobachte ist, daß "früher", also so in den 70er/80er Jahren, einfach mehr Zeit füreinander da war. Man konnte sich einfacher auch mal spontan verabreden oder bei jemandem unangemeldet vorbeischauen, wo heute jeder sagt "ich bin im Stress" oder er habe keine Zeit ...... Es war irgendwie in gewisser Hinsicht ruhiger und gemütlicher, nicht so hektisch, nicht so laut.
Man ging arbeiten, nahm das als selbstverständlich an, und konnte aber nach getaner Arbeit auch abschalten. Das Arbeitsklima war meistens gut, Kollegen trafen sich auch privat und verstanden sich untereinander gut, es gab kaum Mobbing und der Druck von oben war nicht ganz so gewaltig wie das heute der Fall ist. Es gab immer Zeit für einen kleinen Plausch in der Kaffeeküche oder im Nachbarbüro, und niemand sah einen schräg an wenn man dabei gesehen wurde, es gehörte einfach dazu. Man schaffte sein Arbeitspensum ohne in Wallung zu geraten, es waren noch genügend Kollegen da die die Arbeit unter sich aufteilen konnten.
Also, was Erwerbsarbeit angeht so kann ich sagen, aus eigener umfassender Erfahrung und den Schilderungen anderer, ja, da war es früher in gewissem Sinne schon besser und die Leute zufriedener. Da bin ich durchaus der Meinung, daß die Zeiten sich verschlechtert haben.

Und in anderen Bereichen gilt das auch. Siehe sterile Gärten, totgepflegte und -kultivierte Landschaften wo kaum mehr Wildwuchs herrscht, wuchernde Gewerbegebiete, usw. usw..... Das sind Dinge, die MICH zumindest unzufrieden machen. :aeh: