Innerer Antrieb

Was halt nirgendwo passt
Adjua
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Re: Innerer Antrieb

#41

Beitrag von Adjua » Di 20. Aug 2013, 12:43

Nightshade, bevor du dich fragst, ob ich dich nicht verstehen will, könntest du dich auch fragen, ob du mich richtig verstanden hast. Soweit ich lesen kann, widersprichst du dir.

Für mich gibt es deine postulierte Trennung zwischen, dem "Durchschnitt, den man treten muss" und dem Begabten, der von selber (ja, was eigentlich deiner Meinung nach?) wird. Deine Denkweise wurzelt irgendwo im abendländischen Geniekult, der zugegebenermaßen bei uns eine lange Geschichte hat, nichtsdestotrotz in meinen Augen mit der pädagogischen Realität nicht viel zu tun hat.

Ist ja auch bequemer, auf diese Art würden sich die Begabten von selber zeigen, und der Durchschnitt würde sich von selber aussortieren und man kann sich mühevolle Förderungen aller Art sparen, weil das Talent sowieso seinen eigenen Weg geht.

So sehe ich das nicht. Das Talent braucht Sehnsucht und Selbstbewusstsein, um zum Ausdruck zu kommen. So manch hochtalentierter Mensch will gar kein großer Künstler werden und spielt halt in der örtlichen Musikkapelle mit oder malt maximal sein Haus hübsch an. Andere haben Talent und Sehnsucht, aber keinen Glauben daran, dass die Welt gerade auf sie wartet. Wieder andere haben nicht das ultimative Talent, aber viel Sehnsucht und das Selbstbewusstsein, ihrem Stern zu folgen - diese holen das Maximum aus ihren natürlichen Anlangen heraus, und werden besser als so manches Naturgenie.

Es gibt für mich keinen Durchschnitt, den man treten muss, nur schlechte Lehrer und (viel weniger oft) die falsche Wahl des Fachs. Gerade Kinder wollen von Natur aus mitspielen, und wenn sie Feuer fangen, erwacht oft erst die Sehnsucht nach mehr, danach, Höchstleistungen zu vollbringen. Manche sehen für sich irgendwann die Grenze dessen, was sie erreichen wollen, andere erkennen, dass es in einem bestimmten Fach für sie grenzenlose Möglichkeiten gibt. Wer was wird, kann man vorher nicht sagen, es zeichnet sich sehr oft nicht früh ab.

Picassa

Re: Innerer Antrieb

#42

Beitrag von Picassa » Mi 21. Aug 2013, 09:37

Ich hatte schon als kleines Kind den inneren Antrieb, Musik zu machen. Meine Eltern haben mich mit fünf Jahren an der Musikschule angemeldet, erst für Blockflöte, drei Jahre später für Geige. (Ich hätte lieber Klavier gespielt, aber das ging nicht in unserer engen Mietwohnung, und für Querflöte war ich damals noch etwas zu klein.)
Ich war sicher nicht schlecht, hatte (und habe) wohl ein gewisses Talent für Musik, aber meine Schüchternheit stand mir immer im Wege.
Ich musste immer in der Kirche vor der Gemeinde spielen, oder jedesmal, wenn zu Hause Besuch angemeldet war, hieß es, spiel doch mal was. Ich habe das gehasst wie die Pest!!!!
Und ich habe mich später geschämt... vor meinen Freundinnen. Geige! Wer spielte denn SO WAS!?!? Meine Geschwister konnten draußen spielen, ich musste GEIGE üben! Voll uncool.
Naja, dann kam die Pubertät, und meine Eltern haben zum Glück eingesehen, dass Zwingen nichts bringt, und haben mich von der Musikschule abgemeldet.

Nach meiner Berufsausbildung habe ich mir einen Traum erfüllt und habe mir von meinem eigenen ersten Geld Musikunterricht genommen, Blockflöte und Querflöte. Mein Lehrer "drängte" mich bereits nach wenigen Monaten, ich solle Musik studieren. Er wollte mir sogar Unterricht an der Musikhochschule in Frankfurt vermitteln. Je mehr er drängte, um so weniger traute ich es mir zu. Leider hat er kurze Zeit später die Musikschule verlassen, und ich wollte keinen anderen Lehrer nehmen und habe mich somit vom Unterricht abgemeldet.

Zwei Jahre später habe ich mich wieder angemeldet, diesmal für Geige. Ich hatte einen super Lehrer, der aber genau das gleiche Problem hatte wie ich: vor anderen Leuten spielen zu "müssen".
Als Musiklehrer musste er seine Schüler regelmäßig vor Publikum spielen lassen. Aber je näher der Auftritt heran rückte, desto nervöser wurde er, ständig schmiss er das Programm um, weil wir Schüler dann doch nicht "gut genug" waren, dieses oder jenes vorzutragen. Er hat uns alle - mich besonders - super nervös damit gemacht.
Bei einem Konzert (ich spielte bereits wieder rund drei Jahre Geige) flüsterte mir eine Schülerin zu: was tun wir uns hier eigentlich an? Sie meinte die Aufregung vor jedem Auftritt. Da ich in diesem Moment selbst das reinste Nervenbündel war, habe ich mich am nächsten Tag zum wiederholten Male vom Musikunterricht abgemeldet. Und mir geschworen, mich nie wieder auf so etwas einzulassen.

Naja, mit Mitte dreißig hat es mich dann doch wieder gepackt, ich habe mir eine gute Querflöte gekauft und wieder Unterricht genommen...
Nach zwei Jahren hieß es dann wieder: Vorspielen. Tja....
Ich hasse das noch heute.
Ich übe auch nicht gerne, wenn ich weiß, dass mir jemand zuhört.
Wenn ich dann die jungen Leute sehe, die im Fernsehen auftreten, sei das nun The Voice of... oder Dieters Superstar oder wie das alles heißt... Ich frage mich dann immer, woher die diese Besessenheit nehmen, sich vor anderen Leuten zu prostituieren. Manche von denen sind ja wirklich toll, die können echt was, aber meine eigentliche Bewunderung gilt der Tatsache, dass die sich trauen, sich so vor andere Leute hinzustellen und zu singen und zu musizieren.

Mir geht es übrigens nicht nur mit der Musik so, sondern mit allem, was ich anpacke. Je mehr ich etwas will und kann, desto mehr erkenne ich, wie weit ich noch von Perfektion entfernt bin und um so größer werden meine Selbstzweifel. Das bremst mich immer und überall aus. Leider.
Ich wünschte, ich hätte mehr Selbstbewusstsein in die Wiege gelegt bekommen.

Adjua
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Re: Innerer Antrieb

#43

Beitrag von Adjua » Mi 21. Aug 2013, 12:31

Picassa, danke, genau das habe ich gemeint.

Manche Kinder überwinden dieses Nicht-Vorsingen/Vorspielen-Wollen irgendwann, andere nicht. Ich erinnere mich noch gut, daß meine Tochter mit im Alter von elf oder zwölf felsenfest erklärte, sie würde nie alleine vorsingen wollen (sie sang im Chor und sollte Solos singen). Weil - Mama du verstehst nix - da werde ihr Hals trocken und dann könne sie nicht singen. Ihr Kapellmeister hat sie in Duette und Terzette eingeteilt und abgewartet. Irgendwann ging's dann doch. Hätte aber auch anders kommen können, mit einem weniger genialen Lehrer und ohne die Möglichkeit, einfach im Ensemble zu spielen, bis die Zeit reif ist. Heute hat sie für ihre jungen Jahre eine bemerkenswert Nervenstärke und ist bei Auftritten immer besser als bei Proben.

Leider wird in Musikschulen viel zuwenig Ensemble gemacht.

Picassa

Re: Innerer Antrieb

#44

Beitrag von Picassa » Mi 21. Aug 2013, 13:21

"Leider wird in Musikschulen viel zuwenig Ensemble gemacht."

Oh, das kann ich von "meiner" Musikschule nicht sagen. Ich war auch als Kind schon in Streicherkreisen, Orchestern, Tango-Gruppen usw.

Ich hatte das Glück, die letzten Jahre einen sehr engagierten Querflötenlehrer zu haben. Er leitete auch ein Flöten-Ensemble für Erwachsene, in dem ich nach kurzer Zeit mitspielen durfte. Das bringt unwahrscheinlich viel. Jeder machte da so seine Fehler, auch die besseren Schüler, keiner brauchte sich zu schämen, wenn er mal falsch spielte.
Dieser Lehrer hatte mich sogar dazu gebracht, "freiwillig" mit ihm in einem Altenheim vorzuspielen bzw. mit dem Ensemble in Kirchen und bei Weihnachtskonzerten.
Ich muss sagen, seit ich mit meinem Mann zusammen wohne und ich somit ja immer einen unfreiwilligen Zuhörer habe, kann ich auch besser vor anderen Leuten spielen. Ich gewöhne mich in meinem hohen Alter noch dran :lol:

Adjua
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Re: Innerer Antrieb

#45

Beitrag von Adjua » Mi 21. Aug 2013, 13:53

Picassa, das ist doch schön, wenn du jetzt die Möglichkeit gefunden hast, Musik im Ensemble zu machen. Ich finde es unnatürlich für die meisten Kinder - Ausnahmen gibt es immer - allein vorzuspielen. Leider ist das auch die Erwartungshaltung der Eltern, das Kind Solo zu hören. Ich habe Klassenabende immer gehasst, als Zuhörer genau so wie als Teilnehmer.

Wenn ich heute eine Abfolge von Kindern auf der Bühne sehe - lauter Einzelshows - denke ich mir jedesmal: warum machen sie nicht lieber alle zusammen ein, zwei schöne Stücke?

Gemeinsam Musik zu machen und damit aufzutreten, ist fast gar nicht stressig für Kinder, vorausgesetzt, sie verstehen die Musik, die sie aufführen, und das Ensemble ist so geführt, dass der Erfolg aller gilt und nicht die einzelnen "Guten". Was leider auch selten gelingt. Setzt natürlich auch voraus, dass sich der Lehrer von den Eltern nicht dreinreden lassen muss.

So lernen die Kinder, dass die Musik zählt, die sie zusammen machen, und nicht irgendwelche Jungstar-Allüren. Quasi als Gegenkultur zu Talentshow-Unkultur.

Nightshade
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Re: Innerer Antrieb

#46

Beitrag von Nightshade » Fr 23. Aug 2013, 16:08

Picassa hat geschrieben: Wenn ich dann die jungen Leute sehe, die im Fernsehen auftreten, sei das nun The Voice of... oder Dieters Superstar oder wie das alles heißt... Ich frage mich dann immer, woher die diese Besessenheit nehmen, sich vor anderen Leuten zu prostituieren. Manche von denen sind ja wirklich toll, die können echt was, aber meine eigentliche Bewunderung gilt der Tatsache, dass die sich trauen, sich so vor andere Leute hinzustellen und zu singen und zu musizieren.

Mir geht es übrigens nicht nur mit der Musik so, sondern mit allem, was ich anpacke. Je mehr ich etwas will und kann, desto mehr erkenne ich, wie weit ich noch von Perfektion entfernt bin und um so größer werden meine Selbstzweifel. Das bremst mich immer und überall aus. Leider.
Ich wünschte, ich hätte mehr Selbstbewusstsein in die Wiege gelegt bekommen.
Geh - mein Vater hat mich mit 12 Jahren das erste Mal im Weißclown-Kostüm als Stichwortgeber auf die Bühne gestellt.
Er ist viele Jahre erfolgreicher Hobbyzauberer gewesen, wie sein Vater vor ihm Alleinunterhalter (Zauberer, Conferencier, Musiker...) war.
Wir haben bisschen geprobt, bis ich die Nummer auswendig wusste. Dann kam der erste Auftritt, im Bierzelt eines Kirtags. Los, du bist dran.
Und ich ging raus... Und sagte dem August laut und deutlich (ins miese Mikrofon), dass hier das Singen von Liedern verboten ist... usw, usw. :) :) Die ersten paar Sekunden waren nicht sehr angenehm, aber dann ging es.

Es hat mir Spaß gemacht, ein Clown zu sein. Mit Prostitution hat das wirklich nichts zu tun. (Tendenzen dazu ich eher bei jenen Damen, die sich vom Gatten finanziell erhalten lassen.)
Es war lustig, obwohl der Herr Papa damals keinen Zweifel daran gelassen hat, dass das ARBEIT und PFLICHT ist, sobald ich der Sache zustimme. Gab ja auch gutes Geld dafür. :) :) :)

@Adjua:

Schau, ich sehe das ganz hart: Wer etwas will, der erreicht es auch. Der Antrieb dazu kann nur in einem selbst entstehen.

Ich sehe das so hart, weil ich vielleicht keine ganz optimale Jugend hatte. Lange Jahre ständige Atemnot bis zur Knochendeformierung an der Brust. Immer wieder im Krankenhaus. Einen ziemlich üblen Scheidungskrieg der Altvorderen gabs auch. -> DAS ALLES IST SCHEISSEGAL. Was zählt ist das eigene Leben und das Ziel das man hat.
Lernen kann man - ich weiß es aus Erfahrung - während man im Krankhausbett liegt und von drei Infusionsschläuchen fixiert wird. Lernen kann man mit Ohropax, auch wenn sich die Altvorderen 24/7 befetzen.

Rundherum sind jene (pumperlgesunden) Altersgenossen, die man in der Schule/Studium dauernd treten und mitschleifen musste, picken geblieben. Ich verstehe bis heute nicht, wieso ein Mensch nicht irgendwann begreift, dass man den ganzen faden, komplizierten Käse von Mathe bis Buchhaltung für sich selber lernt und nicht für Muttern oder den Lehrer.

Lieber Himmel, wenn man jemanden schon zu seinem Hauptinteresse treten muss, wie motiviert sich der später für jene Dinge, die er weder mag noch gut kann?
Hast du noch nie ein paar 1000 Euronen investiert, damit du in deiner Freizeit irgendwas Stinklangweiliges lernen darfst, was du im CV gut brauchen kannst?

Wenn ein Kind nicht mit ca. 16 die Nase nach vorn zum ersten eigenen Lebensziel kriegt, dann ist das IMO ein GROBER Erziehungsfehler.

Ich quäle mich gerade durch einen Elearning-Kurs, dessen Thema mir nicht sehr liegt. Mein Motivator bin ich selber. Die anderen sehe ich erst wieder bei der Prüfung. Ist nicht viel anders, als sich im Spitalsbett für lateinische Deklinationen zu motivieren. Ich fand das alte Rom deutlich spannender als Buchhaltung.

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Re: Innerer Antrieb

#47

Beitrag von fuxi » Fr 23. Aug 2013, 16:23

Nightshade hat geschrieben:Wenn ein Kind nicht mit ca. 16 die Nase nach vorn zum ersten eigenen Lebensziel kriegt, dann ist das IMO ein GROBER Erziehungsfehler.
*hust*
Nightshade in Hilfe Problemhund! hat geschrieben:Ich bin sehr überzeugt kinderlos,
:kaffee:
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Melusine

Re: Innerer Antrieb

#48

Beitrag von Melusine » Fr 23. Aug 2013, 16:29

fuxi hat geschrieben:
Nightshade hat geschrieben:Wenn ein Kind nicht mit ca. 16 die Nase nach vorn zum ersten eigenen Lebensziel kriegt, dann ist das IMO ein GROBER Erziehungsfehler.
*hust*
Nightshade in Hilfe Problemhund! hat geschrieben:Ich bin sehr überzeugt kinderlos,
:kaffee:
:hmm:

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Re: Innerer Antrieb

#49

Beitrag von kraut_ruebe » Fr 23. Aug 2013, 16:32

warum hustest du?

hier im forum wird sehr oft gefordert die lehrer(-innen hier natürlich dann) mögen doch bitte die kinder erziehen. wenns dann mal eine macht, dann ists auch nicht recht? :hmm:
There's a crack in everything. That's how the light gets in.

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Re: Innerer Antrieb

#50

Beitrag von Adjua » Fr 23. Aug 2013, 16:34

Nightshade, deine Erlebnisse als Kind erklären vielleicht deine eigene Einstellung, zum Beweis der Wahrheit deiner darwinistisch schwer angehauchten Thesen taugen sie nicht.

Erstaunlich finde ich immer, daß Leute mit suboptimaler Kindheit ihren aus der suboptimalen Situation geborenen Weg als alleinig richtig für alle anderen propagieren.

Grundsätzlich, nicht alle Leute sind so wie man selbst, oder auf dem Weg dorthin. DAS allerdings wär was, was ein Erwachsener zwischen 20 und 30 irgendwann mal kapiert haben sollte.

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